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Weniger Zeit für die Liebe

■ Die Bremerin Bärbel Schäfer (30) moderiert eine Mittags-Talkshow bei RTL

Je länger man hinguckt, desto größer wird ihr Mund, und es ist wahr, daß schon ihre Lehrerin über das ewige Gelache und Gequatsche geklagt hat. Darüber hinaus sind ihre Augen von einem geradezu beängstigend hellen Blau. Klar, daß sie schon nach drei Monaten einen Fanclub hat (aus Wuppertal!). Seit Anfang September hat sie wochentäglich von 14-15 Uhr eine Talkshow, die heißt auch „Bärbel Schäfer“ und fährt mächtig Quote ein. Bärbel ist 30, entstammt einer Bremer Sanitärkaufmannsdynastie, ihr Freund ist der Regisseur des zu früh verschiedenen „Schmidteinander“. Sie hat einen Hund und zwei Katzen, eine hatte sie mal vor einem groben Tierfeind gerettet. Damals hatte sie eine Talk-Show mit Tieren, doch doch.

Mittagszeit. Vor 1,7 bis 1,9 Millionen TV-Geräten sitzen „Frauen, die von eins bis drei Mittagspause haben, Hausfrauen, Schichtdienstler, Arbeitslose“ (Bärbel über ihre Zuschauer). Das macht einen Marktanteil von 22 Prozent. Whow! Am Donnerstag machte Bärbel zum Beispiel eine Talkshow über den Zölibat. Weil RTL in Köln sitzt, hatte sie das Haus voller katholischer Hardliner, die klatschten und jubelten, wenn jemand sagte: „Verheiratete Priester sind unrein.“ Bärbel brachte mit ansteigender Spannungskurve einen verheirateten katholischen Priester (mit Frau), einen, der 37 Jahre lang schon zölibatär lebte und sexy aussah und dann einen Schwulen, der das Zölibat nicht mehr hatte aushalten können. Eine Alte („Ich bin für den Zölibat, weil Gott es will“) haute Bärbel nach dem Dreh die Bibel auf die Schulter, weil sie nicht genug hatte sagen dürfen.

Die Frage ist immer: Wo ist der Sprengstoff? Wer das weiß, kann schon eine Talkshow machen. Allerdings gibt es Talkshows über Kinderreichtum, Fernsehsucht, Haß auf die Schwiegermutter, Keinen Bock auf Arbeit, Frauenquote u.s.f. wie Sand am Meer, inzwischen sogar öffentlich-rechtlich. Auf dem Gelände siegt man heute nicht mehr nur mit einem tollen Thema. Moderator oder Moderatorin mit klarem Profil werden immer wichtiger. Und: die Machart. „Bärbel Schäfer“ imitiert die in den USA sehr erfolgreiche Show von Ricky Lake (Ricky ist aber ein bißchen dicker). „Amerikanisch“ ist die nervöse Schnittfolge, aber auch die kalkulierte massive Einmischung des Publikums. Anfangs hatte Bärbel ja gefürchtet, das gehe nur mit Amis, und nicht mit „den Deutschen“: aufstehen, mitreden, frank und frei seine Meinung sagen. Aber die Deutschen lernen's. Leider geht es meist am höchsten her, wenn die Kameras abgeschaltet sind.

Bärbel hat privat an der Wand ein Bil5zd mit „Vögelnden Hirschen“ (???) hängen und läßt sich von ihrer Promofirma so befragen: Wie hat sich Ihr Alltag verändert, seit Sie täglich auf Sendung sind? - „Weniger Liebesleben.“ Und doch ist Bärbel „schamhaft“, was sich bei ihrer mißlungensten, aber quotenstärksten Show erwies: „Auf den Zentimeter kommt es an“ hieß das Ding, darinnen es nicht zuletzt um Pimmelzentimeter ging, die man gemeinhin erheblich „unter der Gürtellinie“ (Bärbel) vorfindet. Soll nicht mehr vorkommen. Schade.

Bärbel, die Sprüche kennt wie: „Heute bin ich am Tisch die Gesichtsälteste“, hat demnächst schon ihre 100. Sendung, worin es um „Seine Ex hat uns fast ruiniert“ geht. Oder um „Ich finde Müsli zum Kotzen“. Man kann Bärbel auch Vorschläge machen - Hotline 0138-9999. Mein Vorschlag: „Ich hatte Sex mit Bäumen“. Aber da ist Bärbel ganz Profi: „Die sind zu groß, passen nicht ins Studio.“ Abgelehnt. Burkhard Straßmann

PS: Ich hatte Sex mit einem Bonsai! Na???

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