: Bombenbauer wird zum Märtyrer
■ Die Beerdigung des Hamas-Aktivisten Ajasch wird zur größten Demonstration in der Geschichte Gazas. Auch Widersacher der Islamisten betonen die nationale Einheit der Palästinenser. Israelis fürchten Vergeltungsanschläge
Gaza/Tel Aviv (AFP/rtr/AP/taz) – „Peres, bereite deinen Leichensack vor!“ skandierten am Samstag Tausende vor der Palästina-Moschee in Gaza. Sie machten den israelischen Ministerpräsidenten für den Mord an dem Hamas-Aktivisten Jahja Ajasch verantwortlich. Der 31jährige Bombenspezialist mit dem Spitznamen „Ingenieur“ war am Freitag durch einen in einem Mobiltelefon plazierten Sprengsatz getötet worden. Aber nicht nur gegen die Israelis richtete sich die Wut vieler Palästinenser. „Die Zionisten und ihre Vasallen müssen nach diesem Verbrechen mit Racheakten rechnen“, hieß es in einem Flugblatt von Hamas – eine deutliche Anspielung auf vermutete Mittäter oder Informanten in den Reihen der PLO.
Die palästinensische Selbstverwaltung war denn auch eifrig bemüht, ihre Solidarität mit dem Opfer und dessen Angehörigen zu bekunden. In dem Trauerzug – mit mehr als 200.000 Menschen die größte Demonstration in der Geschichte des Gaza- Streifens – wurden zahlreiche Funktionäre der Fatah gesichtet, der von Jassir Arafat geführten größten PLO-Fraktion. Arafat selbst erschien zum Kondolenzbesuch im Hamas-Hauptquartier in Gaza. In einer Rede vor 4.000 PalästinenserInnen in Dura bei Hebron im Westjordanland pries er Ajasch am Sonntag als „Märtyrer“, der für Palästina gestorben sei. An die israelische Regierung gerichtet, erklärte Arafat: „Das haben wir nicht vereinbart.“ Der Anschlag widerspreche dem Geist der Aussöhnung.
Israels Behörden reagierten reflexartig wie immer, wenn es im Gaza-Streifen und im Westjordanland unruhig wird: Sie riegelten die Gebiete komplett ab, warnten die israelische Bevölkerung vor „Vergeltungsanschlägen“ und sicherten ihre Botschaften im Ausland. 30.000 PalästinenserInnen aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland waren so von ihren Arbeitsplätzen in Israel abgeschnitten.
Israelische Zeitungen schrieben am Wochenende, der israelische Geheimdienst sei für den Anschlag verantwortlich. Peres, so hieß es, habe die von seinem ermordeten Vorgänger Jitzhak Rabin gegebene Anweisung erneuert, daß Ajasch gefaßt werden müsse.
Ajasch gilt in Israel als Drahtzieher von sieben Selbstmordanschlägen, bei denen mehr als 55 Menschen getötet und etwa 300 verletzt wurden. Bei einer Kundgebung in der von der Hamas eingerichteten Islamischen Universität in Gaza prahlte am Samstag ein Redner, bei von Ajasch vorbereiteten Aktionen seien mindestens 67 Israelis getötet und 400 verletzt worden.
Nach Angaben von Hamas bekam Ajasch in seinem Unterschlupf in Beit Lahja im Gaza-Streifen von dem 27jährigen Hamas-Aktivisten Usama Hamad ein Funktelefon gereicht, das gepiept hatte. Hamad sagte Ajasch, sein Vater wolle ihn sprechen. Als Ajasch sagte: „Vater, ich höre dich“, explodierte das Telefon. Einwohner gaben an, um diese Zeit habe sich ein israelischer Hubschrauber über dem Ort befunden. Es wurde vermutet, daß die in dem Telefon versteckte Sprengladung von dem Hubschrauber aus gezündet wurde. Ein Palästinenser, der nach Ansicht von Hamas in die Ermordung Ajaschs verwickelt sein soll, soll sich in die USA abgesetzt haben. Wie Angehörige des Verdächtigen, des 45jährigen Kamal Hamad, sagten, verschwand dieser am Freitag vormittag etwa zu der Zeit aus Beit Lahja im Norden des Gaza-Streifens, als Ajasch dort getötet wurde. Drei Töchter seiner Schwester wurden von der palästinensischen Polizei festgenommen. Tagesthema Seite 3
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