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Arbeiterkampf in einer schönen Stadt

Im südfranzösischen Marseille dauerten die Massenstreiks am längsten – und jetzt führten sie sogar zum Erfolg: Ungleichbehandlung im öffentlichen Nahverkehrsbetrieb wird abgeschafft  ■ Aus Marseille Dorothea Hahn

Hurrah!“, jubelt ein Busfahrer bei der Versammlung im Busdepot La Rose, „wir sind nicht in die Knie gegangen und das hat sich gelohnt.“ 33 Tage Streik, der längste Arbeitskampf in der Geschichte der Marseiller Verkehrsbetriebe „RTM“, waren gestern früh soeben zu Ende gegangen. Nach unzähligen Verhandlungsrunden und blutigen Schlägereien mit der Polizei hatte der Bürgermeister am Vorabend klein beigegeben und die Forderungen der traminots erfüllt.

In den vorausgegangenen Tagen waren die traminots – wie sich die Bus- und Metrofahrer in Erinnerung an die längst abgeschaffte Straßenbahn bis heute nennen – Frankreichs letztes Widerstandsnest. Alle anderen Streikenden – Lehrer, Eisenbahner, Elektrizitätswerker – hatten ihre Arbeit vor Weihnachten wieder aufgenommen, aber die Marseiller blieben in Aufruhr. Ihr Weihnachtsfest verlegten die Streikenden in die vier Busdepots der Stadt. Zu Silvester wärmten sie sich wieder an den Lagerfeuern der Streikwachen. Dazu tranken sie Champagner. Gekauft hatten sie ihn mit den Spendengeldern von Marseiller Mitbürgern, die bis zum Schluß verständnisvoll blieben.

Wochenlang gingen die Anliegen der traminots in den landesweiten Protesten gegen den Juppé- Plan unter. Erst als die anderen Streikfronten bröckelten, erfuhren die Franzosen, daß in den Marseiller Verkehrsbetrieben besonders schlechte Bedingungen herrschen: Dort verdienen neueingestellte Busfahrer 1.000 Francs weniger als ihre Kollegen, müssen dafür zwei Stunden täglich mehr arbeiten.

Das „Doppelstatut“ war 1993 „provisorisch“ eingeführt worden, wie die Direktion des Unternehmens erklärte. Doch inzwischen arbeiten 300 der 1.400 traminots zu den neuen, schlechteren Bedingungen, Tendenz steigend. „Die Botschaft an junge Kollegen war klar“, sagt Alain, der seit 1968 bei der „RTM“ arbeitet und noch zu den „Privilegierten“ gehört, „entweder ihr nehmt, was wir euch bieten oder ihr bleibt auf der Straße.“

Die 20.000 Arbeitslosen in der Hafenstadt mit schrumpfender industrieller Aktivität erleichterten dem Unternehmen die Einführung des Doppelstatuts. Zudem war die Belegschaft noch von einer früheren Niederlage verunsichert: Im Jahr 1987 hatten sie elf Tage lang für Lohnerhöhungen gestreikt – völlig erfolglos. „Die Deregulierung sollte in Marseille ausprobiert und im Erfolgsfall auf andere Orte übertragen werden“, erklärt Busfahrer Jean.

Zugleich waren die Gewerkschaften schwach und die traminots wußten nicht, „ob sich ein Arbeitskampf lohnen würde“, sagt ein Kontrolleur. Die nationale Streikbewegung im Dezember brachte schließlich die nötige Rückendeckung: Am 7. Dezember legten die traminots beide Metrolinien und alle Busstrecken der Ein- Millionen-Stadt lahm.

Jeder Streiktag bedeutete kompletten Lohnausfall. Und jede zusätzliche Auseinandersetzung mit dem Unternehmen brachte eine höhere Beteiligung am Protest. Gingen anfangs nur 68 Prozent der Belegschaft in den Ausstand, waren es in den letzten Streiktagen 90 Prozent. Der konservative Bürgermeister der Hafenstadt und zugleich Minister in Paris, Jean- Claude Gaudin, ließ sich nicht blicken. „Wir haben hier nur eine Puppe von ihm. Er selber ist in Paris“, schimpfen die traminots. Sie mußten mit einem Unterhändler vorlieb nehmen, und der bot ihnen die harte Stirn.

In der vergangenen Woche verbot ein Gericht den Streikwachen, arbeitswillige Kollegen am Einsatz zu hindern. Am Morgen danach gab es Schlägereien zwischen Streikenden und Streikbrechern. Wieder einen Tag später, am Freitag, besetzte die Polizei die Depots der Eisenbahner. Seither standen die traminots auf der Straße. Ihre täglichen Vollversammlungen hielten sie seither in Kirchengemeinden und unter freiem Himmel ab. Nachdem die Polizei am Samstag einen Streikenden krankenhausreif prügelte, erreichte die Bewegung ihren Höhepunkt: Der konservative Bürgermeister mußte seinen Kurs ändern. Erleichternd für Gaudin kam hinzu, daß der sozialistische Präsident des Regionalrates anbot, einen Teil der Kosten für die Aufhebung des „Doppelstatuts“ zu übernehmen.

Auf ihrer letzten Streikdemonstration am Montag trugen die traminots Fotografien ihres mißhandelten Kollegen zum alten Hafen. Stundenlang warteten sie vor dem Rathaus, in dem ihre Gewerkschaftsvertreter mit dem Unterhändler am Runden Tisch saßen. Mit Schildern und Helmen bewaffnete Polizisten hinderten sie am Weitergehen. „Wir haben Zeit“, riefen die traminots per Megaphon hinauf ins Rathaus – an die Adresse ihres notorisch abwesenden Bürgermeisters. „In Marseille leben wir gut“, erklärt ein jubelnder traminot am Morgen nach jener letzten Verhandlung, die zum Rückzug des Doppelstatuts führte. „Wir haben schöne Frauen, eine wunderbare Stadt und das Meer.“

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