: Figuren wie aus dem wirklichen Leben
■ Auf der Berlinale genießt und erleidet Matthias Glasner die Ängste und Freuden des künstlerischen Zu-Ende-geboren-Werdens / Mit „Die Mediocren“ stellte der Regissseur seinen ersten Spielfilm vor
Es ist der Tag nach der Premiere. Wir sitzen beim Deutschland-Stand des European Film Market, im wirtschaftlichen Herz der Berliner Filmfestspiele. Alle Länder Europas preisen ihre jeweiligen Filme an, bunte Plakate hängen an den Wänden, Menschen sprechen auf deutsch, englisch, französisch wild durcheinander, an Bistrotischen wird Kaffee getrunken. Man fühlt sich an einen Basar erinnert.
Matthias Glasner wirkt fremd in dem Durcheinander. Und er sieht blaß aus. Gestern wurde sein erster abendfüllender Spielfilm, Die Mediocren, zum erstenmal aufgeführt, und das gleich im Fassbinder-Saal in der Kongreßhalle, der an die 1000 Zuschauer faßt. Der Saal war proppenvoll, am Schluß der Vorführung gab es Applaus. Matthias Glasner sagt als ersten Satz des Gesprächs: „Ich bin über Nacht erwachsen geworden.“
Der da die Freuden und Ängste des künstlerischen Zu-Ende-geboren-Werdens genießt und erleidet, gehört einer raren und gesuchten Spezies an: Matthias Glasner ist eine der wenigen Nachwuchshoffnungen des deutschen Films. Das mag man auf den ersten Blick zwar kaum glauben, denn man kann sich diesen sympathischen, durch und durch normal wirkenden jungen Erwachsenen zwar überall vorstellen, im Hörsaal, am Kneipentresen, aber hinter der Kamera, Schauspieler und Beleuchter dirigierend? Wenn Glasner aber von seinem bisherigen Werdegang erzählt, erhält man den ganz bestimmten Eindruck, hier wolle einer Filme machen oder aber gar nichts. Daß sich hier jemand in eine eindeutige Richtung stilisieren könnte, fällt einem erst hinterher ein.
Seit er denken kann, sagt Glasner, ist er ins Kino gerannt, absolut besessen. Seine ersten Filmeindrücke hat er in einem türkisch geführten Kino in Hamburg-Altona bekommen, türkische Schlägerfilme, amerikanische Action-Schinken, diese Schiene. Später hat er dann natürlich noch alles andere gesehen. Und mit 15 Jahren, sagt er, stand für ihn fest: Er will Filme machen. Eine Filmhochschule hat Glasner aber nicht von innen gesehen, statt dessen hat er Kurzfilme und Videos gedreht und bei Produktionen gejobbt. Vom Kabelträger zum Regisseur, diesem Lebensentwurf ist Glasner bis jetzt konsequent gefolgt. Die Erfahrungen seiner Anfangszeit kommen Glasner jetzt zugute. „Ich fühle mich handwerklich ganz gut drauf“, sagt er. Und er sagt noch einen Satz, der so schlicht ist, daß er einfach wahr sein muß: „Der Drehort, der Set, ist der Ort, wo ich mich am wohlsten fühle auf der ganzen Welt.“
Zuerst stand in seiner Entwicklung also der Wille zum Film. Was er mit Filmen wiederum will, was er mit ihnen erzählen möchte, das kam erst hinterher. Matthias Glasner beruft sich hier auf einen Satz vom Wim Wenders, der sinngemäß so lautet: „Je weniger man zu erzählen hat, desto schöner werden die Bilder.“ Glasner lacht kurz: „Und was ist jetzt mit Wim Wenders, seine Bilder werden immer schöner...“
Je weniger man zu erzählen hat, desto schöner werden die Bilder. Legt man diesen Maßstab an Glasners Debüt Die Mediocren an, muß Glasner ungeheuer viel zu erzählen haben, denn schön, glatt, plan sind die Bilder des Films auf gar keinen Fall. Glasner mag keine aufdringliche, sich in den Vordergrund spielende Kamera. Und auch wenn er inhaltlich naheliegt, verbittet er sich einen Vergleich seines Films mit dem Hollywood-Twenty-somethings-Porträt Reality Bites: „Ästhetisch ist das doch etwas ganz anderes. Bei Reality Bites sah man doch die saubersten dreckigen Unterhosen der Filmgeschichte, jede Einstellung eine Jeans-Werbung.“ In seinen Augen flackert für einen Moment die helle Empörung, daß er überhaupt in die Nähe dieses Films gerückt wird.
Okay, Vergleich zurückgenommen. Zu solchen glänzenden Oberflächentableaus schließen sich seine Bilder wirklich nicht zusammen. Was also hat Matthias Glasner zu erzählen? Die Mediocren sind ein Generation-X-Film, ganz ohne Frage. Und Glasner spult denn auch sofort das ganze Programm ab. In den 60er Jahren sei alles einfach und übersichtlich gewesen, da brauchte man nur politisch zu sein, um dazuzugehören. In den 70ern gab es dann die Anti-Atomkraft-Bewegung, in den 80ern die Yuppisierung. In den 90er Jahren aber, heute, gebe es für seine Generation nichts Gemeinschaftsstiftendes, nichts Echtes, nichts, woran man sich halten könne.
Kurz wundert man sich darüber, wie eindeutig Glasner diese etwas ausgeleierte Mühle herunterbetet, aber letztendlich findet man es doch ganz legitim, über dieses weitverbreitete Gefühl einen Film zu machen. Hier hat sich jemand aufgemacht, um als Teil seiner Generation Erfahrungen zu machen und von diesen Erfahrungen mit Kamera, Licht und Schauspielergesichtern zu erzählen. Und auch wenn bei den Mediocren der Wille noch stärker als die Einlösung herauszusehen ist, scheint das doch ein vernünftiges Programm zu sein. Seinen nächsten Film hat Glasner schon fertig geschrieben, er soll von einem Leichenwäscher in New York (Glasners Lieblingsstadt) handeln, irgendwann später möchte er dann einen Film über Sex machen. Man kann sich dem Eindruck nicht verschließen, daß Glasner fest auf dem Boden der Realität steht. (Allerdings wird ihm die Realität manches Mal zur Kulisse, so guckt Glasner während des Gesprächs häufiger um sich, als wolle er Kamerapositionen festlegen.)
Wie genau Matthias Glasner wirkliche Vorgänge beobachtet, zeigen die Figuren in den Mediocren, man kennt solche Menschen. Seine Lieblingsfigur ist Robin, die junge Frau, die ihre Emotionen hinter dicken Panzern versteckt. „Sie muß viel schützen“, sagt Glasner, „und wo man viel schützen muß, muß auch viel sein.“ Gerade über Robin kann man sich mit dem Jungregisseur wie über eine reale Person unterhalten. So wundert er sich nicht über die Frage, ob Robin irgendwann Kinder kriegen wird – im Film wird das mit nichts angedeutet –, sondern spinnt die Vorstellung sofort aus. „Sie wird es, bestimmt. Irgendwann wird sie einfach schwanger werden, und sie wird das Kind bekommen, weil sie das auch noch mitkriegen will.“ Auch wenn man mit den Mediocren noch nicht ganz einverstanden ist, es sind diese genau beobachteten Episoden, die man in den nächsten Filmen des Regisseurs Matthias Glasner erwarten kann.
Dirk Knipphals
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