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Ökodorf auf dem dialektischen Weg

Hindelang bastelt seit Jahren an seinem grünen Image. Alles nur Fassade? Mitnichten! Denn die Allgäuer Gemeinde kann sich trotz eigener Verfehlungen der Macht des Ökofaktischen auf Dauer nicht mehr entziehen, meint  ■ Gerhard Fitzthum

Hindelang ist nicht gerade anziehend. Wäre der Hauptort der gleichnamigen Gemeinde nicht von kleineren Ortsteilen und der zauberhaften Berglandschaft des Oberallgäus umgeben, würden sich kaum Reisende dorthin verirren. Schuld daran ist aber keine spektakuläre Verfehlung in der Ortsgestaltung, sondern die ganz normale Entwicklung alpiner Wachstumsgemeinden: Straßengeflechte schnüren den alten Ortskern von beinahe allen Seiten ab; Neubaugebiete mit Supermärkten, Tennishallen, Squash- und Fitneßcentern wuchern die Hänge hinauf und die Talauen hinunter; Feriendomizile im alpinen Einheitsstil verdrängen die traditionellen Bauern- und Landhausformen.

Trotzdem ist die Gemeinde in der südwestlichen Ecke Bayerns bemerkenswert. Denn hier verwirklicht man seit Jahren jene „nachhaltige“ Vermittlung von Tourismus und traditioneller Berglandwirtschaft, von der sonst immer nur geredet wird. Die Grundlage liefert das „Ökomodell Hindelang“, das Ende der 80er Jahre erfunden wurde und auf die finanzielle Stärkung der Landwirtschaft als Ausgleich für landschaftskulturelle Leistungen der Bauern setzt.

Entsprechend vorbildlich ist inzwischen die extensive Landnutzung: 86 von 87 noch tätigen Berglandwirten haben sich vertraglich verpflichtet, maximal eine Großvieheinheit pro Hektar bewirtschafteter Fläche zu halten, 90 Prozent des benötigten Futters im Gemeindegebiet selbst zu erzeugen und auf den Einsatz von Mineraldüngern und Pestiziden ganz zu verzichten. Ein Gebiet von der Fläche des Fürstentums Liechtenstein wird damit nach einheitlich ökologischen Kriterien bewirtschaftet. Seit Jahren kommen Tourismusverbände und politische Funktionäre, um die Hindelanger Erfolgsgeschichte zu ergründen.

Von Anfang haben es die Hindelanger verstanden, in puncto „Nachhaltigkeit“ die Aufmerkmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, während andere Modellorte wier etwa Bad Feilnbach am Wendelstein und Stephanskirchen bei Rosenheim medial unterbelichtet bleiben. Deshalb wird Hindelangauch seit Jahren mit nationalen und internationalen Auszeichnungen überschüttet. Zuletzt erhielt der 1992 gegründete Bauernverein Hindelang – Natur und Kultur den Umweltpreis der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (ArgeAlp), die sich aus Regierungschefs aller Alpenstaaten zusammensetzt – „in Anerkennung von Bedeutung und Modellcharakter seiner Arbeit zur Erhaltung alpiner Landwirtschaft und Kulturlandschaft“. Mit dem Konzept der Hindelanger Bauern sei der erfolgreiche „Versuch unternommen worden, Ökologie und Ökonomie in einem ganzheitlichen Ansatz zu versöhnen“.

Im alpinen Ortsteil Oberjoch, am Ende des Kur- und Klinikviertels, steht der Haflingerhof. Stefan Bentele, Besitzer und einziger Bauer in Oberjoch, ist ein Mann der ersten Ökostunde. Erst 1990 aus Hindelang heraufgezogen, hat er es nicht immer leicht gehabt, mit seinen Ideen zum Zusammenspiel von extensiver Landwirtschaft und Tourismus auf Gehör zu stoßen. In dem 350-Seelen-Dorf wird der gelernte Kfz-Mechaniker gelegentlich als „Hobbylandwirt“ belächelt. Gerade hier, wo sich die Männer früher im Winter noch zusätzlich als Nagelschmiede und Fuhrleute auf der „Salzstraße“ von Tirol nach Frankreich verdingen mußten, verbindet man mit dem Bauerndasein einen steten, unfreiwilligen Existenzkampf. Wer sich die Zeit nimmt, die Zwangsläufigkeit des langsamen Untergangs der Berglandwirtschaft zu hinterfragen oder gar mit neuen Ansätzen zu experimentieren, macht sich erst mal verdächtig.

Was wie eine unzulässige Außenbereichsbehausung aussieht, ist der großzügige Neubau eines Alpgebäudes mit modernem Stall und Sennküche, das Bentele nun mitten in die Wiesen stellt. Die Bemühungen um eine „neue“ Landwirtschaft enden im Ostrachtal längst nicht mit der angepaßten Produktion: Vor zwei Jahren haben sich 70 Mitglieder der Bauernvereinigung zu einer „Vermarktungs GmbH & Co. KG“ zusammengeschlossen, ihren Produkten das Qualitätslabel „Hindelang – Natur & Kultur“ verpaßt und den Direktverkauf aufgenommen. Benteles „Erlebnismolkerei mit Probierstube“ wird die dritte Verkaufsstelle der Ökobauern.

„Dem Urlauber wird hier der Weg von der Weide bis zum verkaufsfertigen Produkt nachvollziehbar vor Augen geführt“, erklärt Ernst Wirthensohn, landwirtschaftlicher Referent des bayerischen Bundes Naturschutz und Vater der „Ökomodell“-Idee. Er ist zufrieden mit den bisherigen Erfolgen, kennt aber auch den Schwachpunkt: die Abhängigkeit von fremden Geldgebern.

Zur Zeit steuert neben der Gemeinde noch der Naturschutzfonds „Alp Action“ große Summen bei. Die Vereinigung, von UN-Flüchtlingskommissar Prinz Sadruddin Aga Khan geleitet, macht es Großunternehmen möglich, ausgewählte Umweltschutzprojekte in den Alpen direkt zu finanzieren und nebenbei für sich zu werben. 1992 und 1993 war der Sponsor die Riso Deutschland GmbH, eine Tochterfirma des japanischen Druckereikonzerns Riso Kagaku Corporation, zur Zeit ist es Kraft-Jacobs-Suchard.

„Diese Anschubfinanzierung ist wichtig, weil die Bauern dadurch endlich einmal sehen, daß jemand an ihren landespflegerischen Mühen tatsächlich interessiert ist“, sagt Wirthensohn. Der frühere Direktor am Amt für Landwirtschaft in Kempten hatte keinen Lust mehr auf einen Job, der ihn zum „Erfüllungsgehilfen einer verfehlten EU-Agrarpolitik“ machte. Man dürfe sich aber keinesfalls auf solche Geldgeber verlassen. Nur wenn es gelinge, die Direktvermarktung auf breiter Ebene durchzuboxen, erhielten die Bergbauern wieder etwas von jener Autonomie zurück, die den verantwortlichen Umgang mit der Natur auch langfristig sicherstelle.

Wirthensohn glaubt, daß man sich bei Beibehaltung der jetzigen Linie innerhalb eines Jahrzehnts vom EU-Markt weitgehend abkoppeln könnte. Einstweilen ist man noch vollauf damit beschäftigt, sich vom Sonthofener Milchwerkskonzern abzukoppeln. Bisher holt die vormalige Genossenschaftsmolkerei, die täglich 400.000 Liter Milch aus den verschiedensten Herkunftsgebieten in „Bergbauer“-Produkte verwandelt, die Milch bei den Hindelanger Landwirten ab und verkauft sie dann der kleinen Ökosennerei „Obere Mühle“ zurück. Die Bauern bekommen keinen Pfennig mehr als bisher. Mit ihrer gängigen Ablieferungsmentalität hatten sie sich den fälligen Sprung ins Unternehmertum nicht sogleich zugetraut. Bentele macht nun in privater Regie vor, wozu seinen Kollegen der Mut gefehlt hatte.

Oberjoch, in dem ein Sechstel der Gästebetten stehen, aber nur sieben Prozent der Gesamtbevölkerung leben, ist die Problemzone der Ökogemeinde Hindelang: Neun Skilifte, jährlich Snowboard und Freestyle-Weltcups, noch bis vor kurzem regelmäßig Autorallyes. Um von Benteles Haflingerhof zum „Mattlihaus“ zu kommen, passiert man die Parkflächen des Skigebiets, die alle die Größe von Fußballpätzen haben. Das mit dem Bayerischen Umweltpreis ausgezeichnete Ferienhotel liegt mitten im Landschaftsschutzgebiet „Allgäuer Alpenkette“, über das in diesen Wochen morgens und abends die Pistenraupen donnern.

Drinnen wird man von Heimat- und Brauchtumspflege geradezu erschlagen: Der Vorraum gleicht einer Deponie für Museumsgut, überall sind schöne Fachwerkbalken unter die Betondecken gehängt, ein Korb mit dicken Holzscheiten steht demonstrativ vor dem Kachelofen. Der Blick durch die großen Panoramafenster fällt über das ganze Hochtal und auf den gegenüberliegenden Hausberg Ornach: Der Berg ist nahezu kahl, einzelne Baumstümpfe ragen bizarr in den Himmel. Der Sturm „Wiebke“ hat vor wenigen Jahren die Fichtenmonokulturen großflächig heruntergeblasen.

Die Bäume auf der Speisekarte sind im besseren Zustand: Ein kräftiger Ahornbaum mit vor Gesundheit strotzender Krone dient der „Ferienoase im Naturschutzgebiet“ als Markenzeichen. Auf der Karten-Rückseite die Embleme der Zulieferfirmen – das klassische des Fleischhandels, aber auch das gesetzlich geschützte Gütesiegel von Coca Cola. Aber keine Spur vom Markenzeichen der Hindelanger Selbstvermarktungsgesellschaft. „Vollmilchkalbfleisch“, die Spezialität der hiesigen Ökobauern, taucht nur unter „Etwas Besonderes“ und „Unsere Schmankerl“ auf – ohne genaue Herkunftsangabe.

Das ist typisch: Die Angebote der Hindelanger Qualitätslieferanten werden von den Wirten sorgfältig ignoriert. Nur ein Prozent ihrer Ware geht an einen der 90 Gastronomiebetriebe im Gemeindegebiet. Vieles ist zwar „Aus heimischer Küche“, aber zu einer Herkunftsgarantie im Sinne des Gütesiegels „Hindelang – Natur & Kultur“ wollen sich die Wirte nicht verpflichten. Die Gäste nähmen zwar gerne die Vorteile des Ökotals in Anspruch, seien aber zu Aufpreiszahlungen nur selten bereit. Wenn das stimmt, können sie den Wirten die Hände reichen: Auch sie profitieren vom Ökoimage, ohne sich an den Kosten zu beteiligen. Nicht weit vom „Mattli-

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haus“ entfernt steht eine röhrende Schneekanone zugleich im Landschaftsschutzgebiet und auf der Skipiste. Hier fand im Sommer 1994 der erste Mountainbike- Weltcup auf deutschem Boden statt – in der Trenddisziplin „downhill“: Etwa 400 Fahrer stürzten sich bei Dauerregen eine fünf Kilometer lange Schußstrecke hinunter und durchquerten dabei – trotz des Verbotes der zuständigen Naturschutzbehörde – Wiesen im Landschaftsschutzgebiet. Auch für einen ökologisch orientierten Tourismusort wie Hindelang seien solche Großveranstaltungen „leider unverzichtbar“, erklärte der Bürgermeister. „Etikettenschwindel“ warfen die Naturschüzer den Ökomodelleuren vor; „Naturschutzfundamentalisten“ schimpfte der der Bürgermeister zurück.

Also alles nur Fassade, das Hindelanger Ökomodell ein ausgeklügeltes Konzept der Verbrauchertäuschung? Bleibt der „sanfte Tourismus“ auch im selbsternannten Ökodorf auf der Strecke? Mitnichten! Die Vorgänge in Oberjoch zeigen einfach nur den dialektischen Weg, auf dem sich ein umweltverträglicher Tourismus in den ersten Alpendörfern durchzusetzen beginnt: Selbst wenn die Interessenvertreter der Gemeinde es wollten, könnten sie hinter das einmal gegebene Ökoversprechen nicht mehr zurück. Schon 1991, als der Wald- und Weidegenossenschaft des Ortsteils Hinterstein der Deutsche Umweltpreis verliehen wurde und die Werbestrategen den Erfolg dieser acht Bauern geschickt auf die ganze Gemeinde übrtragen hatten, war der Rückweg versperrt. Seither setzt sich der nachhaltige Umgang mit der Natur Stück für Stück durch, mal mit Hilfe von Leserbriefen in der Provinzpresse, mal mit offenen Drohungen des Bundes Naturschutz, der Gemeinde ihren Ökotitel „mit großer Publicity wieder abzuerkennen“.

Selbst Gemeinderatsbeschlüsse halten diesem Druck nicht stand: Bei einer Sitzung im November 1992 hatte man sich mit zwölf zu sieben Stimmen dafür entschieden, wieder ein Autorennen auf der Jochstraße zu gestatten. Doch bereits drei Wochen später war der Spuk vorbei: Nachdem man den Volksvertretern eindringlich klargemacht hatte, wie wenig die seit 1923 durchgeführte ADAC-Rallye zum Ökoimage der Gemeinde paßt, gab es eine knappe Mehrheit gegen das einträgliche Spektakel.

Den Gemeindevätern bleibt also nur jene Alternative, die ihnen die Lokalpresse schon vor Jahren vor Augen geführt hatte: „Entweder Hindelang unterläßt das Werben mit dem Ökomodell – oder verwirklicht es endlich.“ Niemand kann aber glauben, daß eine Gemeinde, in der heute mehr als 80 Prozent der EinwohnerInnen vom Tourismus leben, es irgendwann einmal nicht mehr nötig hätte, sich auf ihr Erfolgsimage zu berufen.

Infos: Material zu den touristischen Möglichkeiten und zum Ökomodell erhält man von der Kurverwaltung Hindelang, Marktstr. 9, 87541 Hindelang, Tel. (0 83 24) 89 20.

Vor Ort gibt es für InhaberInnen einer Gästekarte sehr günstige Umwelttickets: Für 20 Mark kann man eine Woche lang das gesamte Bahn- und Busnetz „Oberallgäu-Süd benutzen.

Gasthäuser, die die Ökobauern unterstützen: Obere Mühle, Wildbachstuben, Prinz-Luitpoldbad (OT Bad Oberndorf), Zum Salzstad'l Wirt (OT Hindelang), Grüner Hut (OT Hinterstein).

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