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Eine absolut unliterarische Erscheinung

Die erste Ausstellung über „einen gewissen Peter Huchel“, Lyriker und Redakteur von „Sinn und Form“, in Potsdam: Verse, Felder, Verfolgung, Isolation  ■ Von Anke Westphal

An diesem trüben Januarmorgen flaniert die Sicherheit vor dem Alten Rathaus von Potsdam. Der Parkplatz ist gänzlich gesperrt, und auch auf der Treppe zum Eingang wird der Ankömmling freundlich von drei Windbreakern abgewehrt. Ministerpräsident Manfred Stolpe gibt einen Empfang. Dem Ankömmling will partout nicht einfallen, wie sich die Sicherheit unter dem aktuellen Landesvater nennt, denn die Jungs sehen denen von früher so ähnlich. Im ersten Stock des Alten Rathauses liegen die Ausstellungsräume des Brandenburgischen Literaturbüros. Dort wird am Abend die bundesweit erste Ausstellung zu Leben und Werk Peter Huchels eröffnen. Wie gut die Windbreaker da zum Thema passen. In der deutschen Geschichte waren Fälle nicht selten, da Literatur so sorgsam bewacht wurde. Der Fall Peter Huchel zählt zu den grausamen.

1962 wird Peter Huchel, Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form seit deren Gründung 1949, vom Vorstand der Akademie der Künste der DDR zum Rücktritt gezwungen. Walter Jens hat Sinn und Form einmal „das geheime Journal der Nation“ genannt und damit auch das Dilemma Peter Huchels beschrieben. Huchel fühlte sich auch dreizehn Jahre nach Gründung der DDR dem Gedanken einer kulturellen Einheit und einem geistigen Horizont verpflichtet, der den Westen nicht ausließ. Mit der Errichtung der Mauer im August 1961 ist der „bürgerliche Leser“ innerhalb der DDR auch in dem Sinne obsolet geworden, daß der Staat keine Rücksicht mehr auf ihn nehmen muß – im Gegenteil: Schließlich behindert er „den sozialistischen Aufbau durch ideologische Zersetzung“. Was Wunder, daß Peter Huchel, sein literarischer Anwalt, in seinem Haus in Wilhelmshorst bei Potsdam in eine neun Jahre währende Isolation gerät.

„Am Tage meines Fortgehns“ heißt die Ausstellung im Alten Rathaus von Potsdam, von der man sich fragt, warum sie a) die bundesweit erste zu Leben und Werk von Peter Huchel ist und b) erst fünfzehn Jahre nach seinem Tod stattfindet? Die Ausstellungsmacher unter Anleitung des Berliner Literaturwissenschaftlers Peter Walther hätten den Lyriker nun leicht als einen weiteren Märtyrer des Systems vereinnahmen können, was zwar nicht ganz falsch, aber auch nur die einfache Wahrheit gewesen wäre. Der Ansatz von Walther ist subtiler. Schon der Titel „Am Tage meines Fortgehns“ bezieht sich weniger auf die im Januar 1971 erfolgte Ausreise des Dichters in die BRD als vielmehr darauf, daß Huchel der DDR weit früher gekündigt hatte. Die demokratische Bodenreform von 1949 wird in den Fünfzigern durch Zwangskollektivierungen zurückgenommen – ein Zeichen für die kommenden härteren Tage. Warum Peter Huchel die DDR nicht schon damals verläßt, erklärt diese Ausstellung.

Die Anordnung der Gedichte, Fotos und – teils bisher unveröffentlichten – Dokumente macht deutlich, daß Huchels Werk selten als synchrone Schnittstelle von Individualität und Staat funktioniert. Die Verwerfungen zwischen Biographie und chronologischem Prinzip sind der eigentliche Gegenstand von „Am Tage meines Fortgehns“ und werden auf großen Tafeln nachgezeichnet. Ein Gedicht bildet das Zentrum jeder Tafel und biographischen Periode; seine – jeweils andere – Typographie spiegelt Geist und Möglichkeiten der Epoche. Fotos, Briefe und Zitate schweben wie die Satelliten um die Lyrik. Die Chronologien hat man bescheiden zur Seite gehängt – „die Beziehung zur Zeit“, sagte Huchel, „gibt doch den Unterton des Lebens“, und der muß nicht der Hauptton sein. Peter Huchel galt als „autoritär“. Fotos seines Stiefsohns Roger Melis zeigen ihn bildschön in wehleidiger Pose an seine Katzen geschmiegt.

Rolf Italiaander ist um 1930 Sekretär der Literarischen Welt und berichtet, daß Peter Huchel damals „eine absolut unliterarische Erscheinung“ war, „ein gewisser Peter Huchel“ eben, „angezogen wie ein Waldarbeiter“, „an nackten Füßen Ledersandalen“. Das ist weniger einer Attitüde als der Herkunft geschuldet. 1903 wurde Helmut Peter Huchel in Lichterfelde bei Berlin geboren. Der Vater war Beamter, der Großvater – was sich als wichtiger erwies – ein kauziger Bauer und „beschäftigte sich sehr zum Schaden seiner Landwirtschaft mit seiner kleinen Bibliothek“. Der kleine Peter spielte mit der kleinen Nelly Sachs. Die Kindheit und die Mark Brandenburg bestimmen später den „Hof meines Gedächtnisses“. Noch nicht siebzehn Jahre alt, kämpft Huchel auf Seiten der Kapp-Putschisten. Die auf Weltkrieg und Novemberrevolution folgende Inflation besiegelt das Schicksal seiner Generation: Es „wird vollends Lotterie“. Peter Huchel verbringt die zwanziger Jahre an den Universitäten von Berlin, Freiburg und Wien. Er steht Alfred Kantorowicz und Ernst Bloch nahe. 1924 veröffentlicht er die ersten Gedichte, 1927 geht er als Korrespondent der Vossischen Zeitung nach Frankreich – ein Wunderknabe, so scheint es, der sich, 1930 nach Berlin zurückgekehrt, mit ebenbürtigem Feinsinn umgibt: der Tänzerin Oda Schaefer und der Dichterin Elisabeth Langgässer.

1933 signalisiert der Faschismus mit einer ersten Razzia, daß auch in der Künstlerkolonie am Laubenheimerplatz ein anderer „Unterton des Lebens“ angeschlagen wird. Da Peter Huchel „die marxistische Würde nicht zu Gesicht steht, wird er sich unter aussichtslosem Himmel weiter einregnen lassen ... Doch unterdessen schlägt sein Herz privat weiter. Und er lebt ohne Entschuldigung“. Was es nicht heroischer macht, dieses Grundmuster seines Leben, das Ausharren bedeutet. Vielleicht benötigt Peter Huchel diese zwölf stummen Jahre innerer Emigration auch, um den Heroismus des Subjekts für jene Gesellschaft zu trainieren, die mit dem Faschismus abzuschließen meint.

Kurt Hager, damals Sekretär für Kultur beim ZK der SED, wirft der Zeitschrift Sinn und Form, und also ihrem Chefredakteur, 1957 zum ersten Mal öffentlich eine „feine Zurückhaltung“ vor, „die etwas von der Art englischer Lords an sich hat“, desweiteren „ihre noble Betrachtungsweise und philosophische Skurrilität“. Bertolt Brecht, einst Huchels einflußreichster Beschützer, ist tot, der Juni- Aufstand von 1953 in Acht und Bann getan. Die Potsdamer Ausstellung verschweigt nicht, daß auch Peter Huchel „einen Preis für die Gunst, in der er zeitweilig stand, zu zahlen hatte“. Sein Gedicht über den „Roten Oktober“ schützte ihn nicht vor den Richtungswechseln einer Kulturpolitik, die keine gelegentlichen, sondern ständige Loyalitätsbeweise einforderte. Der Ton gegen Huchel wurde denn auch schärfer, nachzulesen im Dokumententeil des Ausstellungskatalogs, der Essays und Fotos ergänzt. Bald akkumulieren sich „Beobachtungs“- und andere Akten über den international prominenten Schriftsteller, dem schon einmal, 1953, gekündigt worden war. Ein ZK-Plenum beschließt 1962 durch Konzeptänderung die Gleichschaltung von Sinn und Form und entmachtet Huchel damit: „Eine mächtige Maschine hat mich aufs tote Gleis rangiert, ... hier also wirst du verrosten.“ Das neben Huchels Wohnhaus gelegene Archiv von Sinn und Form wird 1964 durch die Gemeinde Wilhelmshorst illegal geräumt und Huchel dafür verurteilt. Selbst die Rente verweigert man ihm. Eines der Fotos zeigt Huchels Wilhelmshorster Haus tief verschneit hinter einem geschlossenen Drahtzaun – eine feste Burg. Der Staatssicherheit gelingt es in den neun Jahren von Huchels Isolation nicht, auch nur einen Spitzel in den kleinen Freundeskreis einzuschleusen.

Als zwei Abgesandte der Macht im Januar 1971 die Ausreisegenehmigung überbringen, serviert ihnen Huchel Sherry und Tee. Die letzten zehn Lebensjahre in Staufen, Breisgau, bringen ihm zahlreiche Veröffentlichungen, Reisen nach Italien und zehn Literaturpreise ein und machen doch nichts gut. Der alte, kranke Huchel fühlt sich, als ginge er mit seinen Versen „hausieren“. Das Werk ist beispiellos in seiner kargen Konzentration auf Huchels Mission: die Natur der Natur. Seine Gedichte passen in vier schmale Bände.

„Am Tage meines Fortgehns. Peter Huchel 1903–1981“. Ausstellung im Alten Rathaus Potsdam, Am alten Markt 9. Tägl. außer Montag, 10–18 h. Bis zum 11. 2.

Im Insel Verlag erscheint begleitend ein Band mit Texten von Durs Grünbein, Hans Mayer, Walter Jens, Marcel Reich-Ranicki u.v.a.: Peter Walther (Hg.): „Peter Huchel. Leben und Werk. Insel Verlag (it 1805), 24,80 DM

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