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Vereinigt in der arabischen Misere

Heute vor fünf Jahren fielen die ersten Bomben der Golfkriegsalliierten auf Bagdad. Tausende Menschen wurden zu Flüchtlingen. Zahlreiche strandeten in Jordanien. Ein Schicksal vieler Araber  ■ Aus Amman Reinoud Leenders

„Hotel Jerusalem, Hotel Bagdad, Hotel Nasir – alle haben ein schmutziges Badezimmer, Betten voller Flöhe und einen palästinensischen Besitzer“, sagt der jordanische Taxifahrer. „Warum steigen Sie nicht im Hilton ab?“

Die Loge des Hotel Nasir sieht aus wie die von vielen arabischen Hotels: ein kahler Raum mit weißen Plastikstühlen, ein ausrangierter Kronleuchter, ein Foto von der islamischen Wallfahrt nach Mekka und rauchende Männer, die gelangweilt zum Fernseher starren. „Das ist nicht irgendein Hotel“, beginnt ein Junge, der sich als Hamid vorstellt. Wir haben hier Araber aus allen Windrichtungen; aus Irak, Syrien, dem Sudan, Jemen, und Palästinenser natürlich.“ Ein kahler Mann, gekleidet in eine gestreifte Dschallabija, kichert. „Genau, Gamal Abdel-Nasir wäre stolz auf uns. Alle Araber vereinigt, auch in ihrer Misere, Zigarette?“ – „Das ist Ahmad aus Palästina“, sagt Hamid. „Er hat immer etwas Aufmunterndes zu sagen.“

Mitten in der Nacht geht das Licht im Schlafsaal an. Zwei Männer mit Schnurrbärten schleppen einen Koffer herein und lassen sich stöhnend auf ein Bett niedersinken. Ahmad blickt sich schläfrig um. „Gerade angekommen?“ – „M-mm, aus Bagdad.“ – „Willkommen“, flüstert Ahmad und dreht sich auf die Seite. Die zwei Iraker öffnen ihre Koffer und schieben nach und nach Hunderte irakischer Banknoten in die Schublade eines Nachtkästchens. Der Ältere beginnt zu lachen, als ich ihn erstaunt anstarre. „Schau mal, wieviel Nullen. Hunderttausend Irakische Dinare. Nichts wert.“

Die Iraker scheinen eine Familie zu sein. Frau und Tochter halten sich in einem eigenen Zimmer auf. Mittags stehen Sie gemeinsam um den Vater, der mit lauter Stimme in das Telefon kreischt: „O Junge! Was bin ich glücklich, deine Stimme zu hören. Möge Gott dich vor allem Unglück schützen. Gott sei gepriesen. Wie geht's dir? Was sagst du, ich hör dich nicht.“ Die Mutter fängt an zu schlucken. Hamid beobachtet mit seiner verschlissenen Trainingsanzugshose von seinem Lieblingssessel aus die Szene. „Schau, diese Menschen kommen aus Bagdad, um hier ihren Sohn in Florida anzurufen“ erklärt er. „Sie bezahlen einen Haufen Geld beim irakischen Zoll und kommen dann hierhin. Im Irak wird jedes Telefongespräch abgehört. Die Amerikaner hatten ihren Sohn während des Golfkrieges als Kriegsgefangenen genommen. Nun macht er gute Geschäfte in einer Firma für Autoverschrottung in Florida.“ Mit bedrückter Miene legt der Vater den Hörer auf. Es ist das erste Mal seit drei Jahren, daß er mit seinem Sohn geprochen hat. Um unseren neugierigen Blicken auszuweichen, öffnet er eine irakische Zeitung. Saddam Hussein feiert noch immer seinen Sieg über die Amerikaner. „Der Tag aller Tage, an dem Irak den Feind vernichtend schlug“, schreit der Titel.

Das Fernsehen hat an diesem Abend besonders wenig zu bieten. Der Minister für Religiöse Angelegenheiten hält eine Ansprache. „Gerede“ gähnt Hamid. „Warum gehen wir nicht ins Kino? ,Karate Kid – Teil 2‘ soll gut sein.“ – „Ach, immer Gewalt“, nörgelt Ahmad. „Können wir nicht etwas Romantisches sehen?“

Das Kino ist in der Nähe des Büros der jordanischen Muslimbrüder. Von außen ist nicht gut zu erkennen, daß sich hinter der Fassade ein Kino verbirgt: Eine dunkle Vortür trennt die Besucher von den Müttern und Kinderwagen, die auf der Straße vorbeilaufen. Wir drängen uns durch eine Menge schweigender Männer, um die Filmankündigung zu beschauen. An diesem Abend läuft ein italienischer Sexfilm. Die Haarschnitte der Schauspieler verraten, daß er aus den siebziger Jahren stammt. Auf einem der Fotos sperrt eine Schauspielerin ihre Beine vielversprechend auf, aber der Besitzer des Kinos hat das Bild mit einem diskreten roten Stern retuschiert. Saleh kichert nervös. „Ist das nicht gegen den Islam“, frage ich Hamid. „Warum?“ antwortet er. „Das hat nichts mit dem Islam zu tun, diese Filme kommen doch aus dem Westen.“

Auf der Leinwand erkennen wir die SchauspielerInnen, die uns auf den Fotos im Vorraum herbeigelockt haben. Doch der jordanische Zensor ist enthusiastisch an die Arbeit gegangen. Zwischen schmutzigen Schafzimmern wird hin und her gelaufen, während die Hauptperson ständig mit zufriedenem Gesicht in ihrem roten Sportwagen in unbekannter Richtung losfährt. Nach zwanzig Minuten stehen wir mit blinzelnden Augen wieder im hellen Sonnenlicht. „Schade, daß der Film nicht untertitelt war.“ bemerkt Ahmad. Zurück im Hotel hören Hamid und Saleh weiter der Rede des Ministers für Religiöse Angelegenheiten zu.

Hamid sitzt auf der Balkonterrasse. Drei Dschalabijas hängen an einer Leine zum Trocknen im warmen Wind. „Ich komme aus Jerusalem“, erzählt er. „Nun ja, meine Familie. Ich selbst bin in Beirut aufgewachsen. Vor dem Bürgerkrieg sind wir nach Tunis geflüchtet. Mein Vater wollte, daß ich Landwirtschaftsingenieur studiere. Die Familie besitzt ein großes Stück Land in der Nähe von Jerusalem. Dann gingen wir in den Irak, mein Vater hatte dort Arbeit gefunden. Aber nachdem der Krieg gegen den Iran begonnen hatte, ging es mit der irakischen Wirtschaft bergab. Wir mußten also wieder unsere Sachen packen. Zurück in Tunis, habe ich mein Studium beendet. Aber ich habe keine Arbeit gefunden. Nun bin ich Hotelier in Amman. Ingenieur. Hamid. Angenehm.“

„Als ich noch sehr klein war, bin ich mit meinem Vater und meinen Brüdern einmal nach Palästina gefahren“, fährt Hamid fort. „Wir haben einen Onkel in Ramallah besucht. Was für eine herrliche Stadt!“ – „Jeder, der in Palästina wohnt und die Schönheit dort genießt, wird ein guter Mensch“, stimmt ihm Ahmad zu: „Jerusalem, das ist ein Paradies. Bis du schon einmal in der Al-'Aqsa Moschee gewesen? Als der Prophet Muhamad zu Gott aufstieg, setzte er sich auf einen riesengroßen Stein nieder. Während er in den Himmel aufstieg, blieb der Stein unter seinen Füßen kleben. Der Prophet fragte den Stein: ,Wo gehst du hin?‘ – ,Ich geh' mit dir mit, ich will in das Paradies‘, antwortete der Stein. Der Prophet sagte: ,Du bist schon im Paradies‘, und der Stein blieb in der Luft hängen. In Jerusalem kannst du unter ihm stehen. Sie haben allerdings Säulen darunter gesetzt, weil die Touristen Angst haben, daß der Stein runterfallen könnte.“

„Wir sind hier alle ein bißchen zu bedauern in diesem Hotel“, bemerkt Ahmad abfällig am nächsten Tag. „Saleh ist aus Jemen gekommen, um hier sein gebrochenes Bein schienen zu lassen, weil da alle Krankenhäuser im letzten Bürgerkrieg plattbombardiert worden sind. Muhammad ist vor der Gewalt im Süden Sudans auf der Flucht, Iraker stehen den ganzen Tag jammernd am Telefon, und wir Palästinenser siechen hier seit Jahren dahin. Das hier ist eine totale Klapsmühle.“

„Tasse Tee?“ fragt Mahmud. Der Kaffeepreis hat sich gestern vervierfacht, und so trinkt das Hotel keinen Kaffe mehr, sondern ausschließlich Tee. „Wegen der strukturellen Anpassung durch den Internationalen Währungsfonds“ erklärt Ahmad. Im Fernsehen ist heute der Wirtschaftsminister an der Reihe. Mit einem ernsten Gesicht hält er eine Rede über die Bildung einer Subkommission, die sich der wirtschaftlichen Krise annehmen wird. „Wirtschaft, das ist mein Fach“, sagt Ahmad. „In Kuwait hatte ich zwölf Jahre lang einen lukrativen Handel mit einem Autoimport. Aber als die Iraker einfielen, haben sie zwanzig Autos, brandneue Ford, beschlagnahmt. Ich war ruiniert. Das fanden die Kuwaitis auch, als die zurückkamen, und setzten mich ohne Pardon in ein Flugzeug nach Jordanien. Mit einem leeren Bankkonto war ich nur lästig für sie. Jetzt bin ich hier und gebe meine letzten Cents für ein schimmeliges Hotel voller Kakerlaken aus. Von meiner Ausbildung habe ich auch nichts. Wer will heutzutage schon einen Palästinenser mit einem Diplom in sozialistischer Ökonomie von der Universität von Sarajevo?“

Mahmud sitzt still auf dem Balkon. Schweißtropfen gleiten von seiner Stirn. „Es geht ihm wirklich nicht gut“, sagt Hamid. Mahmud gibt keine Antwort, als wir ihn fragen, was los ist. Sein Gesicht bibbert, und seine Augen quellen hervor. „Muß er nicht zu einem Arzt?“ frage ich. Die anderen zucken mit den Schultern. „Er ist Diabetiker“, erzählt Ahmad etwas später. „Seine Medizin ist aufgebraucht. Wir haben schon seine Familie angerufen, die hier irgendwo in Amman wohnt, aber die wollen nichts mehr von ihm wissen. „Warum nicht?“ frage ich. „Weil er als Ehemann und Vater versagt hat. Er konnte seine eigene Familie nicht unterhalten.“ Ein Doktor kostet Geld. Mahmud hat selbst nichts, wer muß dann also dafür aufkommen? Wir beschließen, ihn doch ins Krankenhaus zu bringen.

Zu dritt schleppen wir seinen schweren Körper in ein Taxi. „Krankenhaus und schnell“, ruft Hamid. Wir werden zu meinem Nebenbüro geschickt, um Mahmud zu ,registrieren‘. „Name, Alter, Beruf, Einkommen, physische Gebrechen? Adresse? Der Doktor kann nicht glauben, daß er in einem Hotel wohnt. Zwanzig Minuten später liegt Mahmud dann endlich in der Erste-Hilfe-Station. Die Schwestern, die seinen Blutdruck messen müssen, trinken gerade Kaffee. Mahmud hat mittlerweile, ohne daß er es selbst gemerkt hat, in seine Hose gemacht. Die Schwestern kommen herbeigeschlendert und schauen mit angeekelten Gesichtern auf den Körper auf der Bahre. „Sie werden gebeten, den Raum zu verlassen“, sagt ein Doktor. Nach einer halben Stunde kommt er zu uns auf den Gang. „Ihr Freund ist aufgenommen. Sie hätten aber etwas schneller kommen können. Fünf Minuten später, und er wäre gestorben.“

„Von einigen Menschen bemerkt man erst die Anwesenheit, wenn sie nicht mehr da sind“, bemerkt Ahmad betrübt. Hamid ist zur amerikanischen Botschaft, um für die irakische Familie ein Visum zu beantragen. Die Botschaft, ein schwerbewachtes Fort, liegt in einem teuren Viertel wo ,Kentucky Fried Chicken‘ und ,Pizza Hut‘ residieren. „Ich scheine Sozialarbeiter zu sein“, sagt Hamid, bevor er den Bus nimmt. „Erst Mahmud und nun wieder die irakische Familie. Sie trauen sich selbst nicht zur Botschaft, weil sie Angst haben, vom irakischen Sicherheitsdienst verfolgt zu werden.“ Das Familienoberhaupt liest die Zeitung. „Mit Standfestigkeit werden wir das Embargo überstehen“, meldet die Titelseite heute. Eine Sprecherin im Fernsehen berichtet aufgeregt über den Friedensschluß zwischen Israel und Jordanien. „Komm“, sagt Ahmad während er seine Kippe in einem übervollen Aschenbecher ausdrückt, „wir gehen uns irgendwo besaufen.“

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