Film, Apokalypse etc.
: Truth, Lies and Videotape

■ Laßt tausend Statistiken sprechen: Stirbt das Kino oder nicht?

Video kills the movie star – immer und immer wieder werden die Hiobsmeldungen vom Ende des Kinos in die Welt getrötet: Tod durch Fernsehen, Tod durch Kinosterben, Tod durch Video. Eine intellektuelle Variante dieses Spiels entwickelte ein Autor in der Januarausgabe der Cahiers du cinéma. Der gewohnte Blick auf die Filmgeschichte sei durch die permanente Verfügbarkeit des Videomaterials gefährdet. Die Filmkunst trete ins Zeitalter der Gleichzeitigkeit ein, in dem die gewohnten linearen Entwicklungen und liebevollen Stammbaum-Betrachtungen überflüssig werden. Ein weiteres Element im cineastischen Verfallsszenario, nachdem die Postman-Epigonen unter den Soziologen seit längerem das Bild einer Videofamilie vor dem kalten Herdfeuer eines Fernsehbildschirms in tiefstem akademischem Schwarz malen. Ganz profane wirtschaftliche Sorgen führt dagegen der Hauptverband Deutscher Filmtheater an, der im Videoverleih eine echte Existenzgefährdung für das deutsche Kino sieht.

So ganz gerechtfertigt scheint die Apokalyptik nicht zu sein: In den Statistiken der Filmförderungsanstalten und den Verbänden der Filmtheaterbetreiber sieht es gar so düster nicht aus – auch die vermeintlichen Videokids der neunziger Jahre gehen ins Kino. Die Besucherzahlen sind in den vergangenen vier Jahren um fast sechs Prozent angestiegen.

Besonders in Ostdeutschland wuchs die Kino-Begeisterung in den Jahren von der Wende bis 1994 stetig. Jüngst wurden die ersten Hochrechnungen für das erste Halbjahr 1995 veröffentlicht. Hier ist zwar ein Rückgang zu verzeichnen, doch liefert die Filmförderungs-Anstalt auch gleich eine Erklärung mit: Im Vergleich zum Vorjahr hätten eben Publikumsmagneten wie „Schindlers Liste“ und „Mrs. Doubtfire“ gefehlt.

Von seiten der Kinos wird insbesondere die Regelung gegeißelt, daß es für ausländische Filme keine Mindestzeit gibt, vor der sie nicht in Videotheken auftauchen dürfen. Deutsche Produktionen können erst ein halbes Jahr nach dem Kinostart ins Heimkino verschleppt werden – für internationale Produktionen gilt das nicht. Action-Fans konnten sich Arnold Schwarzeneggers „True Lies“ bereits dreieinhalb Monate nach der Deutschland- Premiere in den eigenen vier Wänden reinziehen. Daß das den Kinobetreibern nicht paßt, ist klar. Der Hauptverband Deutscher Kinobesitzer gibt dafür sogar marktwirtschaftliche Grundsätze auf und verlangt nach gesetzlicher Regelung. Zunächst wird im Mai mit den Videoverleihern weiterverhandelt.

Die prognostizierten Rückgänge der Besucherzahlen für das Jahr 1995 – genauere Daten werden spätestens zur Berlinale erwartet – sind noch kein Grund für Untergangsstimmung oder Attacken auf die Videowirtschaft. Nach den fetten Jahren bis 1994 werden die deutschen Kinos und Filmverleiher kleinere Umsatzeinbußen aushalten können.

Zum Vergleich: Der Umsatz der deutschen Kinos stieg von 1993 nach 1994 um zehn Prozent an und fiel im letzten Jahr vermutlich um drei bis vier Prozent. kol