Gegen alles allzu Glatte

Vier Tage lang diskutierten in Amsterdam fünfhundert Radio- und Videomacher, Hacker und Internet-Fans aus dreißig Ländern über die Möglichkeiten, mit und in ihren Medien gegen den Strom zu schwimmen  ■ Von Miriam Lang

Die Leinwand über dem Podium im Amsterdamer Theater „Paradiso“ ist zum gigantischen Computerbildschirm geworden. Ein „Clickmaster“ sitzt links hinten im Saal vor einem echten Monitor. Mit seiner Maus bestimmt er die Show, ruft Bilder aus dem Internet auf, die sich langsam auf der Leinwand aufbauen.

Auch die Musik, die aus den Boxen dröhnt, kommt aus dem Netz. „www.jodi.org“ heißen die blinkenden Collagen aus Datenschrott und Fehlübertragungen, die auf der Medien-Konferenz „Next 5 Minutes“ begeisterten Applaus ernten: Netzkunst, die die Instabilität des Mediums aufs Korn nimmt, in dem Datenstau und Systemabsturz zum Alltag gehören. Wer hier sitzt, ist derlei Zwischenfälle gewöhnt – die wahren Internet-Pioniere genießen das Chaos und verabscheuen jede Reibungslosigkeit.

500 Medienmacher aus 30 Ländern sind nach Amsterdam gekommen, 200 sitzen jetzt im „Paradiso“. Thema ist „The Desire to be Wired“, das digitale Fieber – und der enthusiastische Werbe- und Medienrummel, der in den USA und in Europa um die Verbindung von Fernsehen, Computer und Telefonnetz zum neuen Hypermedium veranstaltet wird.

Steven Kurtz vom Critical Art Ensemble, einer Medienkunstgruppe aus Chicago, analysiert die kommerzielle Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien: Bequemlichkeit und Unterhaltung stellten die höchsten Werte dar in dieser Welt, die von Medienkonzernen und Hochglanzmagazinen à la Wired entworfen werde. „Einfach per Knopfdruck“, laute ihre Zauberformel. Es werde suggeriert, daß durch die Rationalisierung täglichen Tuns – wie zum Beispiel durch Teleshopping – mehr Freizeit bleibe. Tatsächlich passiere das Gegenteil.

Kurtz verdeutlicht das am Beispiel eines Werbespots für ein „Portofax“ (ein kleines, tragbares Telefaxgerät): „Haben Sie jemals vom Strand aus ein Fax verschickt? Sie werden es bald tun!“ Und er fragt zurück: „Haben Sie jemals 24 Stunden täglich und 365 Tage im Jahr an ihrem Arbeitsplatz verbracht? Sie werden es bald tun!“ Der Computerkünstler aus Chicago kritisiert nicht die Technologie, sondern gibt ihre jeweilige Anwendung zu bedenken. Je nach Software könne die vielgepriesene „Interaktion“ im stupiden Mausklicken vor dem Supermarkt im Bildschirm bestehen oder im gemeinsamen, kreativen Denken und der praktischen Umsetzung der Ergebnisse außerhalb des „Cyberspace“.

Wie vielen anderen auf dieser Konferenz geht es auch Steven Kurtz darum, herauszufinden, ob alternative, emanzipatorische Nutzungen der neuen Technologien möglich sind. In Amsterdam überwiegen die kritischen Töne. Ein junger Schweizer ist genau deswegen angereist: „Weil ,Next 5 Minutes‘ der politischste Kongreß zu solchen Medienthemen ist, den ich in den letzten Jahren erlebt habe.“

Ein Treffen politisch interessierter Medien- und Computerfans also, und ein Eingeweihtentreffen mit jener hektisch-überdrehten Atmosphäre, die entsteht, wenn viele Leute viel miteinander vorhaben. Ständig findet alles gleichzeitig statt: Podiumsdiskussionen, Lesungen, Filmvorführungen, Workshops. Shuttlebusse fahren die absolut Unersättlichen zwischen Amsterdam und Rotterdam hin und her, wo in einer Fabrikhalle Installationen zu bestaunen sind und natürlich auch auf diversen Podien diskutiert wird.

Und es wird nicht nur geschaut, gestaunt und zugehört, sondern auch noch gemacht: „Wir haben Medienmacher eingeladen, die sich alle mit ihren Fähigkeiten hier einbringen sollen“, sagt Geert Lovink, einer der Organisatoren. Die Infrastruktur ist da: Drei Amsterdamer Piratenradios haben im Keller des „Paradiso“ Studioräume eingerichtet und auf dem Dach eine Antenne installiert. Wer will, kann vorbeikommen und mitmachen. Berichtet wird über die Konferenz und alles, was die Teilnehmer wollen. Im Obergeschoß des Theaters „de Balie“, dem zweiten Veranstaltungsort, gestalten unterdessen Journalisten und Computerleute ein Online-Journal. Hier werden einzelne Vorträge fürs Internet-Publikum festgehalten, aber auch Kritik und Anregungen für die nächsten Veranstaltungen eingegeben.

Wer nicht aufpaßt, blickt in diesen Tagen schon beim Frühstückskaffee in eine Kameralinse und wird interviewt. Das italienische Fernsehen ist da, und viele Videofreaks haben ihre Camcorder mitgebracht – vor allem aber senden rund um die Uhr zwei offene Fernsehkanäle im Amsterdamer Stadtgebiet Live-Diskussionen, Veranstaltungsberichte oder mitgebrachte Videobänder vom anderen Ende der Welt. Die Sendungen werden mit wenig Technik produziert, und die Akteure benehmen sich wie auf einer Cocktailparty. Ein paar Monitore, ein kleiner Schnittplatz in der Ecke, zwei oder drei Computer bilden die technische Ausstattung, die zwischen den Menschentrauben, die sich in verschiedenen Sprachen gemütlich beim Bier unterhalten, kaum auffällt. Eine winzige Kamera steht in all dem Gewühl auf einem Stativ, und ein Moderator befragt zwei Frauen über die Internet-Realität in Osteuropa. Die Sendequalität ist gut – im „Paradiso“ und im „de Balie“ stehen genügend Monitore herum, um das zu überprüfen.

Auch aus Osteuropa, Lateinamerika, Südafrika, Burma, Indien und Sri Lanka sind Medienleute angereist. Gerade durch deren Anwesenheit wird paradoxerweise deutlich, daß die Internet-Utopie vom „global village“, in dem alle mit allen gleichberechtigt kommunizieren, nichts mit der Realität zu tun hat. Während die Vertreterinnen aus dem Trikont und Osteuropa Veranstaltungen machen, auf denen es um die Bedeutung des Radios im Bürgerkrieg, ums finanzielle Überleben von Basisradios etc. geht, finden die Foren zum Internet fast ausschließlich mit weißen, männlichen, westlichen Akteuren um die 30 vor ebensolchem Publikum statt. So zerfällt die Konferenz in zwei parallele Diskurse, die von der Lebensrealität der Diskutanten – Krieg, Armut und Diktaturen bei den einen, liberaldemokratischer Wohlstand bei den anderen – bestimmt sind und die nur gelegentlich aufeinandertreffen.

So zum Beispiel, als Sivam Krishnahpillai, in Cambridge exilierter Tamile, vorführt, wie sich der ethno-nationale Konflikt auf Sri Lanka im Internet widerspiegelt. Die tamilische Diaspora kommuniziert nicht nur übers Netz – als großen Renner präsentiert Krishnapillai eine website mit Hunderten von Heiratsanzeigen (www. lanka.net/lakehouse) –, sondern sie diskutiert auch die politische Zukunft ihrer Insel. Und das, obwohl das Internet in Sri Lanka selbst so gut wie gar nicht existiert. Auch die Liberation Tigers of Tamil Eelam nutzen das Netz für ihre Propaganda (uts.cc.utexas.edu/ ;janahan/tamil.html) – mit mäßigem Erfolg, wie Krishnapillai zufrieden konstatiert. Für Dinge wie zentral gesteuerte Propaganda sei das Netz mit seiner verzweigten Struktur eben ein ungeeignetes Medium.

„Bringen die neuen Medien tatsächlich mehr Demokratie?“ lautete denn auch der Titel eines weiteren Diskussionsforums. Die Faszination des Internets als Medium, in dem alle Teilnehmer zugleich Sender und Empfänger sind und das geographische Entfernungen weitgehend ignoriert, prägt auch diese Debatte. Ein Teilnehmer aus Zagreb sieht das Netz gar als ideologiefreien Raum, der ohne „-ismen“ auskommt, und wünscht, daß das so bleibt. Er provoziert damit den vehementen Protest einer Engländerin, die auf die homogene, weiße, männlich dominierte Zusammensetzung der Versammlung hinweist und dagegenhält, daß die Herrschaftsmechanismen der realen Welt allesamt im Cyberspace ihre Entsprechung haben.

Als Beispiele für politische Intervention via Internet gelten den Teilnehmern die Blockade der französischen Zentralrechner durch eine Flut von Protest-E-Mails gegen die Atomtests oder die Veröffentlichung von Dokumenten gegen Scientology im Netz. „Das ist alles sehr positiv, aber es ist nichts anderes als die althergebrachte Kampagnenpolitik mit anderen Mitteln“, dämpft die deutsche Journalistin Katja Diefenbach die Euphorie.

Auch das Konzept des kostenlosen Netzzugangs für alle, das vor allem von niederländischen Netzaktivisten als Mittel zur Demokratisierung praktiziert und propagiert wird, reicht allein nicht aus. Selbst wenn die ganze Welt eines Tages am Kabel hinge, wäre damit wenig gewonnen. Denn Zugang zu Information allein verändert keine Machtverhältnisse und ermächtigt Menschen noch nicht zu gesellschaftlichem Handeln. Mehr Demokratie kann nur durch soziale Praxis entstehen, nicht im Cyberspace. Der „Next 5 Minutes“-Kongreß war eine solche praktische Übung: 500 Medienmacher beschäftigen sich mit den Möglichkeiten ihres Mediums.

Siehe auch Seite 12