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Regen, Reden, Reisen

■ Neu im Kino: Theo Angelopoulos' „Blick des Odysseus“ / Drei Stunden mit Harvey Keitel durch den verregneten Balkan

„Ist das hier Sarajevo?“ fragt Odysseus mitten auf einer von Heckenschützen ins Visier genommenen Kreuzung die geduckt vorbeihastenden Menschen. „Ist das hier Sarajevo?“ Einer der wenigen Momente in Theo Angelopoulos' „Blick des Odysseus“, die einen Lacher provozieren. Unfreiwillig. Über die restlichen 177 Minuten kommt der griechische Vorzeige-Kunstfilmer Angelopoulos mit dem Manierismus daher, den wir bei ihm kennen und – nicht schätzen. Jedenfalls dann nicht, wenn uns Angelopoulos seine guten Ideen – davon hat er zweifellos einige – in unerfreulicher Länge und Breite demonstriert. Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.

Eine gewisse Skepsis ist im Kino immer dann angebracht, wenn die Filme übers Medium theoretisieren, um sich alsbald in lähmenden Fragen nach dem Verhältnis von Bild und Wirklichkeit zu üben. Angelopoulos macht da auch in seinem neuen Film keine Ausnahme. Sein Odysseus (Harvey Keitel, dessen Gesicht auch die langatmigsten Sequenzen noch versüßt : einer, der die Schlechtigkeit der Welt kennt, ohne an ihr zu verzweifeln) ist ein in die USA exilierter Filmregisseur, der sich auf dem Balkan auf die Suche nach verschollenen Filmrollen macht.

Ein road movie in Zeitlupe aus dem armen Osten. Odysseus hält es nirgends, das ist der Motor für Angelopoulos' Film. „Ich versuchte, meine Reise durchzuführen wie einst die Brüder Manakis es machten, zur Zeit des Ottomanischen Reiches. Da gab es keine Grenzen, und auch ich wollte so tun, als wäre der Balkan nur ein einziges Land“, sagt er. Die Brüder (Kinopioniere sind offenbar immer Brüder) Manakis, gewissermaßen die Lumières Griechenlands, lieferten zu Beginn des Jahrhunderts die ersten bewegten Bilder vom Balkan, ein Vermächtnis mit Lücken; denen ist Harvey Keitel auf der Spur. Von einer griechischen Provinzstadt nach Albanien, Bulgarien, über Rumänien und Serbien bis ins belagerte Herz Bosniens geht die Reise. Wobei es Angelopoulos anfangs durchaus gelingt, die – politische wie atmosphärische – Instabilität in den ehemals sozialistischen Ostblock-Republiken eindringlich zu bebildern. Seine Vorliebe für Schnee, Regen und andere meteorologische Unbilden unterstreicht noch die Tristesse, die sich in nicht enden wollenden Kamerafahrten über die albanische Steppe bis nach Skopje und Sarajevo zieht.

So weit, so neblig. Doch die falschen Töne in Angelopoulos' Mammutwerk häufen sich, je mehr sich Odysseus Sarajevo nähert. Dort sitzt der Archivar der Kinemathek (Erland Josephson in einer Rolle, die eigentlich der verstorbene Gian Maria Volonté übernehmen sollte) auf dem historischen Filmmaterial, für das er fast schon die richtige Entwickler-Chemikalie gemischt hatte, dann kam der Krieg. Und dann kam Odysseus in Gestalt von Harvey Keitel, und eine Männerfreundschaft der Sonderklasse erwächst zwischen den Ruinen. Der Soundtrack wird noch eine Spur sphärischer, denn zwischen den Toten und den Trümmern hat sich ein Orchester samt Chor eingefunden, und auf einer improvisierten Bühne nebenan führen die Kids „Romeo und Julia“ auf. Nachdem dann die ganze Familie des Filmarchivars an einem nebelgeschwängerten Tag von einem marodierenden Soldaten aus reiner Langeweile exekutiert worden ist, zeigt Angelopoulos wieder das Orchester, elegische Klänge. Tragik soll wohl so entstehen und Hoffnung, trotz allem. Doch beim Betrachter stellt sich ein schales Gefühl ein: ein billiger Schnitt, der auf erhabene Gefühle abzielt, stattdessen aber bei den kleinsten landet: Kitsch. Jede Vereinfachung des Geschehens ist Lüge, sagt Angelopoulos. Der Vereinfachung der Ereignisse auf dem Balkan läßt sich nicht durch Verlängerung des Filmes entgegenwirken. Das mag Angelopoulos geahnt haben: Als Harvey Keitel, von Sarajevo zermürbt, sich schließlich die entwickelten Manakis-Rollen im zerstörten Kino ansieht (im Kunstfilm funktionieren die Projektoren trotzdem immer), bleibt die Leinwand weiß. Wir sind so klug als wie zuvor.

Alexander Musik

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