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Die Gewerkschaften mußten zurückstecken. Nicht die Umverteilung der Arbeit stand im Mittelpunkt der Kanzlerrunde. Die Reduzierung der Lohnnebenkosten, Entlastung der Rentenversicherung und Einschnitte bei der Gesundheitsversorgung sollen mehr Arbeitsplätze schaffen Von Dietmar Bartz

Hochgesteckte Ziele

Halbierung der Arbeitslosenzahl von vier auf zwei Millionen bis zum Jahr 2000“. Die Vollmundigkeiten zum Ende der jüngsten Kanzlerrunde erinnern an die Wunschträume sowjetischer Reformer zu Gorbatschow-Zeiten („In 500 Tagen zu Marktwirtschaft und Demokratie“) oder die Strategiepapiere Brüsseler Eurokraten („120 Maßnahmen zur Beseitigung der Frauenarbeitslosigkeit“). Nicht nur, daß sie ärgerlich sind und niemand sie ernst nimmt – solche Mogelpackungen versperren auch den Blick auf den Inhalt.

Wie bei Verhandlungen nicht anders üblich, hat IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, politisch in der Offensive, nachgeben müssen. Auf ihn geht das „Bündnis für Arbeit“ zurück, das, von Fachleuten anfangs nicht ernst genommen, inzwischen eine solche Dynamik bekommen hat, daß selbst der Kanzler nicht mehr umhin kam, es auf die Tagesordnung zu setzen. Ursprünglich hatte Zwickel detaillierte Vereinbarungen zur Senkung der Arbeitslosigkeit vorgeschlagen. Wohl zu detailliert: Knackpunkt war vor allem die unrealistische Forderung nach Beschäftigungszusagen der Arbeitgeber durch Tarifvereinbarungen. Sie sind im Grundsatzpapier nicht mehr enthalten.

Der Titel des Papiers zeigt bereits, daß der Inhalt in die Breite gegangen ist: „Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung“. Von Durchbrüchen kann keine Rede sein. An zwei Zahlen werden sich Bundesregierung und Arbeitgeber aber weiterhin messen lassen müssen. Die Politiker wiederholten ihr Versprechen, den Anteil der Sozialbeiträge an der Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40 Prozent zurückzuführen. Und die Arbeitgeber bekräftigen ihr Versprechen von 1995, bis zum kommenden Jahr die Zahl der Ausbildungsplätze um zehn Prozent – in Ostdeutschland darüber hinaus – zu steigern. Die Gewerkschaften müssen dafür eine Kröte schlucken: Sie akzeptieren, daß im Zweifel das Prinzip „Ausbildung geht vor Übernahme“ gilt. Die Frühverrentung, auf den ersten Blick eine begrüßenswerte soziale Maßnahme, ist vor allem wegen ihrer Finanzierung in die Schußlinie der Sozialpolitiker gekommen. Denn sie bedeutet, daß Unternehmen auf Kosten der bereits schwer strapazierten Rentenversicherung ihre Belegschaften verjüngen können – und die explosionsartig ansteigenden Bewilligungszahlen zeigen, wie eifrig dieses Mittel von Arbeitgebern wie -nehmern genutzt wird.

Die Zukunft der Frührente wird zum Hauptthema der nächsten Kanzlerrunde, die bereits am 12. Februar stattfinden soll. Dann wird auch über die umstrittene Erhöhung der Mehrwertsteuer verhandelt werden müssen. Denn um die Rentenversicherung zu stabilisieren, müßten die versicherungsfremden Leistungen in den Bundeshaushalt übernommen werden; zur Finanzierung könnte die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht werden.

Während die Rentenprobleme von der Bundesregierung gelöst werden müssen, sind bei der zweiten Debatte die Arbeitgeber gefordert. Die Überstunden haben sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Ärgernis entwickelt. In der Rezession der zurückliegenden Jahre haben sich die Unternehmen und mit ihnen die Belegschaften verschlankt; die Produktivität hat zu- und die Kostenbelastung abgenommen. Jetzt, wo wieder allgemein schwarze Zahlen geschrieben werden, ist aber von Neueinstellungen kaum etwas zu bemerken. Im Gegenteil: Nicht die Zahl der Beschäftigten, sondern die Zahl der Überstunden steigt.

Die Arbeitgeberseite macht geltend, daß Überstunden zur Abdeckung zeitweiliger oder saisonaler Auftragsspitzen nötig sind. Dafür hat sie ein hübsches neues Wort lanciert: „Überstundenventil“. Doch die Gewerkschaften haben beobachtet, daß sich die Überstunden immer mehr verselbständigen und zum Instrument der Arbeitsplanung werden. Immer mehr Arbeit für immer weniger Arbeiter – so haben sie sich die Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht vorgestellt.

Die Konjunktive im Grundsatzpapier zeigen, daß die Positionen hier festgefahren sind, weil die Überstunden weder durch das Arbeitsrecht noch durch Tarifvereinbarungen wirksam eingeschränkt werden. Und sie ganz zu verbieten, ist Unfug. Die Gewerkschaften wissen, daß die Überstunden nur mit Alternativen begrenzt werden können. Jetzt heißt es: „Überstunden sollten – wo immer möglich – vermieden und möglichst in die Erweiterung des Arbeitsplatzangebotes umgesetzt werden; dazu können beispielsweise die Instrumente zunächst befristeter Beschäftigung ebenso wie Arbeitszeitkonten genutzt werden.“

Wie immer bei solchen Papieren wird sich erst bei den nächsten Tarifverhandlungen zeigen, wie konfliktfähig sie sind. Die Bedeutung der Kanzlerrunde liegt an einer anderen Stelle: immer aufs neue die tarif- und die sozialpolitische Diskussion zu koordinieren. Das ist naturgemäß unspektakulär. Je mehr aber die Auseinandersetzungen von tagespolitischen Überlegungen und vollmundigen Zielstellungen geprägt sind, um so mehr entwerten sie die Kanzlerrunde. Bisher – auch Dienstag nacht und am Mittwoch – haben sich die Teilnehmer noch überwiegend zufrieden geäußert.

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