: Deutschland muß nachsitzen
■ Jahreswirtschaftsbericht rechnet mit einer Neuverschuldung von 3,5 Prozent. Zuviel für den Euro
Berlin (taz) – Wenn in diesem Jahr die Europäische Währungsunion käme, könnte Deutschland nicht mit dabei sein. Der Grund: Die Schulden, die der Staat 1996 machen wird, betragen möglicherweise 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts: Zuviel nach den Kriterien des Maastricht- Vertrags, der nur drei Prozent Neuverschuldung erlaubt. Das war nicht die einzige traurige Zahl im Jahreswirtschaftsbericht 1996 der Bundesregierung, der gestern im Wirtschaftskabinett beraten wurde. Titel des Papiers: „Vorrang für Beschäftigung.“
Dem Bericht zufolge wird die Arbeitslosenzahl im Jahresmittel nochmals um bis zu 300.000 auf 3,9 Millionen Menschen steigen, prophezeien die Bonner Wirtschaftsexperten. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von zehn Prozent aller Erwerbspersonen (1995: 9,4 Prozent). Zum Vergleich: 1970 waren im Bundesgebiet nur 0,7 Prozent, 1990 6,1 Prozent der Erwerbspersonen arbeitslos gemeldet.
Die Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit werden voraussichtlich nur um drei Prozent zunehmen, mit höheren Beiträgen für die Pflege- und Rentenversicherung. Unternehmer und Vermögende dürfen dagegen fünf bis sieben Prozent mehr kassieren. „Damit würde der Anteil der Lohneinkommen am Volkseinkommen weiter leicht zurückgehen“, so der Bericht. Dies läge allerdings auch daran, daß der Anteil Selbständiger und Freiberufler in den Dienstleistungsbranchen zunehme. Die Preissteigerungsrate von zwei Prozent bleibt allerdings stabil.
Die Bundesregierung geht für dieses Jahr von einem Wirtschaftswachstum von lediglich 1,5 Prozent aus, zuwenig, um neue Impulse für die Beschäftigung zu bringen. Auch die Hoffnungen des eingefleischten Marktwirtschaftlers und Wirtschaftsministers Günter Rexrodt (FDP) richten sich daher auf künftige Aktionsprogramme gegen die Arbeitslosigkeit. Das Bündnis für Arbeit und das geplante „Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze“ der Regierung könnten bereits in diesem Jahr positive Effekte auf den Jobmarkt haben, erklärte er.
Die Maßnahmen der Bundesregierung werden nach seinen Worten mit erheblichen zusätzlichen Staatsausgaben verbunden sein. Rexrodt deutete gestern an, daß der Bund Milliardenbeiträge vor allem in Steuerermäßigungen zur Förderung von Existenzgründungen, Investitionen und Innovationen stecken will. Durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer sollten die neuen Ausgaben aber nicht ausgeglichen werden, beeilte er sich zu erklären. Zusätzliche Mittel sollen nur durch Einsparungen und Umschichtungen im Haushalt erwirtschaftet werden.
Aber wie? Darüber streiten noch die Unionsparteien und die Koalition. Subventionsabbau, auch bei der Kohle, ist schon im Gespräch. Das Ausmaß der Sozialkürzungen und die Frage der Frühverrentung aber sind noch nicht geklärt. Die Führungsgremien von CDU und CSU erörtern die strittigen Punkte auf einer zweitägigen Klausursitzung, die gestern im bayerischen Wildbad Kreuth begann. Am Dienstag kommender Woche soll das Aktionsprogramm für mehr Beschäftigung im Bundeskabinett vorgestellt werden. Barbara Dribbusch
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