: Nachgekartet
■ Bundeswehr gegen Totalverweigerer: Truppendienst- gegen Amtsgerichte
Die Bundeswehr verstärkt die Repression gegen Totalverweigerer. Weil Gerichte gegen die Kriegsdienstgegner fast „nur“ Bewährungsstrafen aussprechen, karten nun die Truppendienstgerichte nach. Wehrstrafrichter der 9. Kammer verdonnerten den Hamburger Totalverweigerer Niels Pomplun, 22, in der vergangenen Woche zum vierten Mal zu 21 Tagen Diszipli-nararrest. Im Dezember war Pomplun vom Amtsgericht wegen Fahnenflucht zu einer Strafe von sechs Monaten verurteilt worden.
Der Einberufung zum Grundwehrdienst in der Harburger Röttiger-Kaserne war Pomplun im April 1995 nicht gefolgt. Feldjäger brachten ihn zum Panzergrenadier-Bataillon 72, wo er erklärte, alle Befehle zu verweigern und generell keinerlei „Zwangsdienst“ zu leisten. Auch nach 70 Tagen Diszipli-nararrest hatte er es abgelehnt, Ausrüstung und Waffenzubehör in Empfang zu nehmen oder die „vorschriftsmäßige Veränderung seines Haarschnitts“ vorzunehmen und bekam dafür weitere 21 Tage Arrest.
„Das ist verfassungswidrig“, sagt Pompluns Anwältin Gabriele Heinecke. „Bisher lag die Grenze bei dreimal 21 Tagen. Zudem ist Arrest eine ungeeignete Maßnahme, denn Niels bleibt dabei, keinen Dienst zu tun.“ Das hat auch der zuständige Kompanie-Chef Böhlke eingesehen und beantragte Pompluns „unehrenhafte Entlassung“ zur „Vermeidung einer weiteren Gefährdung der Disziplin und zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung“. Alle Maßnahmen hätten sich als wirkungslos erwiesen, schrieb er in einer Stellungnahme. Diese Einlassung beeindruckte das Truppendienstgericht aber ebensowenig wie die amtsgerichtliche Attestierung der Gewissensentscheidung Pompluns. Auch das Kieler Wehrbereichskommando macht Front gegen Pompluns Entlassung und verlängerte noch seine Dienstzeit. Nun soll er – in der Arrestzelle – auch noch einige Tage nachdienen.
Die Bremer „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer“ nennt die veränderte Strafpraxis willkürlich und skandalös. Zwei Verfassungsbeschwerden in dieser Sache sind nun wegen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anhängig.
Volker Stahl
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