piwik no script img

Ein süßes Politikum

Die europäische Schokoladenrichtlinie soll verändert werden. Kakaobutter soll durch Pflanzenfett ersetzt werden dürfen  ■ Aus Brüssel Christian Rath

Rühren, rühren und nochmals rühren. Hochklassige Schokolade braucht sehr viel Muße. Noch ausdauernder rührt die Europäische Kommission an einer neuen Schokoladenrichtlinie. Schon vor drei Jahren waren die EU-Mitglieder übereingekommen, ein neues Schokoladenrecht zu schaffen. Doch immer noch streitet die Kommission über die Frage, ob und wieviel zusätzliche pflanzliche Fette die braunen Tafeln enthalten dürfen.

Bisher darf allein Kakaobutter benutzt werden, um der Schokolade den unerläßlichen zarten Schmelz zu verleihen. Das schreibt seit 1973 die europäische Schokoladenrichtlinie vor. Doch noch im selben Jahr war es mit dem einheitlichen Schokoladenrecht schon wieder vorbei. Die damals neu eingestiegenen Mitgliedsstaaten Großbritannien, Dänemark und Irland zählten sich nicht zu den Schoko-Puristen. Sie ließen es zu, daß bis zu fünf Prozent der Kakaobutter durch andere, billigere Pflanzenfette wie Palm- oder Sheafett ersetzt werden.

Dank einer Ausnahmeregel durfte bisher britische und andere Fremdfettschokolade auch im Rest der Gemeinschaft verkauft werden. Doch das Problem verschärfte sich, nachdem sich herausstellte, daß auch die jüngst beigetretenen Staaten Österreich, Finnland und Schweden Ausnahmeregeln brauchten, weil sie teilweise sogar noch mehr Pflanzenfett beimischen als die Briten. Gleichzeitig begann auch die deutsche Schoko-Industrie zu mäkeln: „Warum dürfen die Briten etwas, was wir nicht dürfen?“ Immerhin ist die britische Schokoladenbranche nach der deutschen die zweitgrößte in EU-Europa. Der europäische Schoko- und Keksdachverband Caobisco malte bereits ein Schreckensbild wandernder Süßwarenhersteller an die Wand: „Ein Zweiklassenrecht wird nur dazu führen, daß die Produktion in diejenigen Staaten verlagert wird, deren Gesetze laxer sind.“

Warum aber läßt man nicht europaweit einen gewissen Pflanzenfettanteil in der Schokolade zu? Gesundheitsbedenken gibt es keine, versichert das deutsche Gesundheitsministerium. Und die Geschmacksfrage könnte ja durchaus den Verbrauchern überlassen werden.

Immerhin können sie schon heute zwischen der 65-Pfennig-Tafel im Supermarkt und der 3-Mark- Spezialität in der Confiserie wählen. Ein Sprecher der britischen Schokoladenfirma Cadbury wagte sogar die Aussage, daß die Süßmäuler auf der Insel seine Marke nicht nur aus purem Nationalismus kaufen: „Unser Rezept hat Erfolg am Markt, warum sollten wir es ändern?“ Hauptgegner einer Liberalisierung ist die französische Regierung, die sich um die kakaoexportierenden Staaten Afrikas sorgt, zumeist ehemalige französische Kolonien. Auch der für Entwicklungsfragen zuständige EU-Kommissar João de Deus Pinheiro hat den Kakao-Staaten versichert, daß er ihre Absatzmärkte in Europa schützen will.

In der Kommission ist derzeit allerdings Industriekommissar Martin Bangemann für die Schokolade zuständig. Am liebsten würde er alles beim alten lassen und nennt dies den „einzig pragmatischen Ansatz“. Im Klartext hieße dies: Briten und andere können ihrer Schokolade wie bisher Pflanzenfett untermischen, während sich deutsche, französische und belgische Schoko-Fabrikanten weiter an das europäische „Reinheitsgebot“ halten müssen.

Emma Bonino, die italienische Kommissarin für Verbraucherfragen, hat jedoch signalisiert, daß sie dieser Lösung nur zustimmen könne, wenn die „unechte“ Schokolade als solche gekennzeichnet würde. Im Bangemann-Vorschlag ist es dagegen ausdrücklich verboten, solche „diskriminierenden“ Kennzeichnungspflichten einzuführen.

Falls es der Kommission gelingt, sich zu einigen (womit frühestens in drei Wochen gerechnet wird) müssen sich noch die Minister der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament mit dem süßen Politikum befassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen