West-östliche Sitzgruppe im Wedding

■ Das Theater Kumpanya probiert mit Eigenproduktionen, Flamenco und Tempeltanz ein anspruchsvolles Weltkultur-Konzept im Nachbarschaftshaus aus

Über dem Tresen ist ein gemaltes Schild an die Wand genagelt: „Erbsensuppe mit Würstchen und Fladenbrot“. Die Gäste, vor allem junge Paare, von denen einige ihre Kinder mitgebracht haben, stehen an, schlürfen vor der Vorstellung noch schnell einen Kaffee oder trinken ein Bier. Daß der balinesische Tanz mehr als eine halbe Stunde später anfängt als angekündigt, stört niemanden. Die Besucher des Kumpanya Theaters im Nachbarschaftshaus Wedding sind kein elitäres Premierenpublikum, sondern geduldige Besucher von nebenan.

Seit November letzten Jahres gehört das Theater Kumpanya zum Nachbarschaftshaus – mit seinem Kinderstück „Kleines Mädchen Kebelek“ und exotischen Gastspielen aus fernen Theaterregionen.

Zur Zeit arbeitet die Truppe an ihrem neuen Stück „Das Haar des Propheten“ nach einer Erzählung von Salman Rushdie; die Theaterbearbeitung wird im April Premiere haben. Nicht zufällig entstammt die Geschichte Rushdies Band „Osten, Westen“: Die Begegnung und Konfrontation von Orient und Okzident ist das Leitmotiv von Kumpanya. Regisseurin Rike Reiniger erklärt: „Wir möchten die Berührungspunkte zwischen verschiedenen Theatertraditionen aufspüren – wo sich Osten und Westen beeinflußt haben, wo es gegenseitigen Austausch gab.“

Eine Idee, die schon das erste Projekt von Rike Reiniger und ihrem türkischen Kollegen Kadir Çevik bestimmte. 1994 waren die beiden in die Türkei gereist, um ein deutsch-türkisches Theaterfestival zu organisieren. Aus dem Festival wurde nichts, doch während der Vorbereitungen hatten sie die Arbeit an der Inszenierung „In dieser Welt einen Schatten haben“ nach einem Text von Adelbert von Chamisso begonnen. Reiniger und Çevik mischten Puppen- und Schauspiel, übernahmen Elemente des Karagöz, des traditionellen türkischen Schattentheaters, und ließen Prolog und Epilog auf Türkisch sprechen. Im Kreuzberger Tiyatrom wurde das Stück aufgeführt.

Zusammen mit der Bühnenbildnerin Deborah Cocking und drei Schauspielerinnen gründeten die beiden Regisseure 1994 das Theater Kumpanya – zu deutsch einfach: Theater-Kompanie. Nach wechselnden Proberäumen und Aufführungsstätten wurden sie zum festen Bestandteil des Nachbarschaftshauses Wedding. Dort haben sie die Gelegenheit, ihr Projekt der Theater-Weltkultur auch mit Musik-Performances und Gastspielen auszuprobieren. Im Januar begann die Reihe „Ethnischer Tanz“ mit den balinesischen Tänzern Alit Aryani und I Ketut Winarta. Weiter geht's mit indischem Tempeltanz und einer Flamenco-Truppe.

Die Mischung Bali/Indien/Spanien, dazu deutsch-türkisches Theater und das Ganze auf einer kleinen Bühne im Wedding sieht tatsächlich ein wenig nach Erbsensuppe mit Fladenbrot aus, nach Multikulti-Eintopf auf der Bühne. Regisseur Kadir Çevik sieht das anders: „Wir machen interkulturelles Theater – das ist etwas ganz anderes. Multikulti ist, wenn ein deutscher und ein türkischer Schauspieler zusammen auf der Bühne stehen. Wir wollen die verschiedenen Elemente verbinden, es soll im Dialog etwas Neues entstehen.“

So plant die Kumpanya zum Beispiel für ihre „Haar des Propheten“-Produktion, die Geschichte, die eigentlich im heutigen Bombay spielt, mit einem Bild im Stil von George Grosz ins Berlin der zwanziger Jahre zu verlegen.

Theater als Versuch, als dauerhaftes Experiment im Labor der Weltkultur. Für die konkrete Arbeit heißt das, die Probenphase mit ausführlichen Improvisationen zu beginnen. Gisela Uschkureit, die zum Ensemble gehört, probiert, wie sie Ideen aus dem Text pantomimisch umsetzen kann. Ihre balinesische Kollegin Alit versucht den Zugang als Tänzerin aus einem anderen Kulturkreis. „Die Nationalität ist dabei nur ein Erfahrungshintergrund, nicht mehr“, so Rike Reiniger und Kadir Çevik ergänzt: „Wir wollen nicht nur abgeschlossene Traditionen reproduzieren, sondern neue Formen finden.“ Fragt man die beiden nach Vorbildern, nennen sie umstandslos die Theatergrößen Peter Brook und Ariane Mnouchkine, die mit ihren internationalen Ensembles hochartifizielles Welttheater produzieren.

Allerdings bewegen sich Rike Reiniger und Kadir Çevik – der nicht umsonst über Theaterpädagogik promoviert – mit ihrem Theater Kumpanya nicht nur in ästhetischer Höhenluft: Wichtiger ist ihnen der Kontakt mit dem Publikum, daß bei den Proben auch mal Zuschauer dabei sind und daß sie mit ihnen ins Gespräch kommen. Manchmal klappt das, und ein paar Kids aus dem Wedding schauen für ein Weilchen im Welttheater-Proberaum des Nachbarschaftshauses vorbei. Kolja Mensing

Heute abend im Theater Kumpanya: Gastspiel Indischer Tempeltanz mit Thipana Satkunanavarajah, 20 Uhr, Nachbarschaftshaus Wedding, Prinzenallee 58