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Schiffspassage nach Afrika

Brechreiz bei Windstärke 10, James Joyce gegen die Langeweile: Auf dem Bananenfrachter „Cap Changuinola“ – liberianische Flagge, philippinische Mannschaft – in zehn Tagen von Nordfrankreich zur Elfenbeinküste  ■ Von Ute Schürings

Suchend fahren wir im Hafen von Dieppe umher. Am Telefon hieß es: „Gucken Sie einfach nach dem größten Schiff!“ Da hinten liegt ein riesiger Kahn, der gerade entladen wird. Den Schiffsnamen wissen wir schließlich: „Cap Changuinola“. Ist also offenbar der richtige, nur die Flagge hinten am Heck kennen wir nicht. Für uns Landratten viel beeindruckender ist die Größe des Schiffs, ein richtiges Hochhaus. Die Flagge ist die von Liberia. Fängt ja gut an ...

Wir haben eine Einwegpassage von Nordfrankreich nach Westafrika gebucht. Den fremden Kontinent wollen wir auf dem Seeweg erreichen. Eine Kreuzfahrt kam nicht in Frage, aber auf einem Frachtschiff mitzufahren, reizte uns schon sehr.

Und jetzt diese schaukelige Treppe raufsteigen? Erst mal hinkommen, ohne von einem der rasenden Gabelstapler umgefahren zu werden. An Bord kommt uns schon der goldbetreßte Kapitän entgegen und begrüßt uns mit Namen. Kein Wunder, wir sind schließlich die einzigen Passagiere und außerdem die einzigen Frauen an Bord. In seiner Kabine bietet er uns gleich etwas zu trinken an. Jemand von der philippinischen Schiffscrew hilft uns, das Gepäck an Bord zu tragen. Unsere Kabine ist ziemlich klein, aber gut aufgeteilt und schön gemütlich. Schon wichtig, wenn man es dort zehn Tage aushalten soll, ohne sich auf die Nerven zu fallen. Eigene Dusche und WC haben wir auch, sogar einen Kühlschank. 1988 wurde das Schiff in Japan gebaut, erzählt unser Käpten, speziell für eine „Dritte-Welt-Besatzung“. Es ist also nicht so vollautomatisiert wie europäische Schiffe. Das sei heute üblich, es gebe kaum noch Frachtschiffe mit deutscher oder europäischer Besatzung, und das Gehalt sei für philippinische Verhältnisse außergewöhnlich gut. Aha.

Die erste Nacht verbringen wir noch im Hafen. Am nächsten Morgen bleibt sogar noch Zeit für einen Bummel über den Wochenmarkt von Dieppe. Außerdem decken wir uns mit frischem Obst ein. Man weiß ja nie, und Vitamin- C-Mangel auf See soll ja schon vorgekommen sein.

Endlich ist die Ladung gelöscht, das Schiff ganz leer – wir legen ab und machen uns auf den Weg nach Westafrika, um von dort neue Bananen zu holen. Durch den Ärmelkanal in Richtung Atlantik. Die Maschinen laufen auf vollen Touren, schließlich liegen 8.000 Kilometer vor uns. Wir fahren 18 Knoten, also etwa 33 Stundenkilometer, macht 800 Kilometer in 24 Stunden. Das Maschinengeräusch wird uns die ganze Reise begleiten, das Schiff vibriert ganz schön, man spürt die träge schaukelnde Bewegung.

Abends nach dem Essen zeigt uns der Käpten die Kommandobrücke – ganz oben auf dem Schiff, rundum Fenster: Man hat einen tollen Überblick. Schon seit geraumer Zeit ist kein Land mehr in Sicht. Auf der Karte schauen wir uns die geplante Route an: um Frankreich und Spanien herum, vorbei an Gibraltar, dann Marokko, Mauretanien, Senegal, Guinea, Sierra Leone, Liberia (um unseren Heimathafen machen wir einen weiten Bogen) und schließlich die Elfenbeinküste. Die Cap Changuinola fährt diese Tour hin und zurück in drei Wochen, das ganze Jahr die gleiche Strecke. Langsam wird es dunkel auf der Brücke, alles ist still, schwaches Licht fällt nur auf die Seekarte.

Mitten in der Nacht geht's dann plötzlich los: Das Schiff rumpelt so stark, daß wir fast aus der Koje Bett fallen, Möbel, Bücher, Gepäck (obwohl im Schrank verstaut) fliegen durcheinander, der Kühlschrank springt auf, und das ganze Obst kullert durch die Kabine. Nach dem ersten Schrecken stehen wir auf und krabbeln auf dem Boden herum, immer den Apfelsinen hinterher, die kommen jetzt erst mal in verschließbare Schubladen. Unterdessen schlingert das Schiff weiter – wir wagen kaum, aus dem runden Kabinenfenster zu sehen: Das Meer tobt, man erahnt riesige, schwarze Wellen, und die Cap Changuinola tanzt auf den weißen Gischtkronen wild hin und her. Uns ist schon ganz schlecht, schnell zurück in die Koje. Schlafen können wir uns abschminken. Endlich wird es hell.

Vorsichtig hangeln wir uns an der Wand entlang zum Frühstücksraum, obwohl uns der Gedanke, jetzt zu essen, ziemlich abwegig erscheint. Käpten und Ingenieur amüsieren sich über unsere grünlich-blassen Gesichter. Wir sind in ein Unwetter hineingeraten: Ein Orkantief vor Island sorgt für zehn Meter hohe Wellen und Windstärke 9–10! Die Kaffeetassen dürfen nur halbvoll sein, um in einem etwas ruhigeren Moment zügig zum Mund geführt zu werden. „Haben Sie schon geopfert?“ Wir verstehen nicht recht, bis sich nach den ersten Bissen ein leichter Brechreiz meldet. Das Frühstück fällt kurz aus – Opferzeit!

Zurück ins Bett, ausgestreckt geht's besser. Allerdings kann von trägem Schaukeln keine Rede mehr sein: Das Schiff stampft, rollt und fährt trotzdem mit voller Fahrt. Unregelmäßig hebt und senkt sich der Bug. Manchmal erwischt ein Brecher auch den freiliegenden Schiffsbauch, wenn der Bug noch von der vorhergehenden Welle emporgehoben ist. Kleine Vollbremsung. Schön ist auch, wenn das Schiff sich schraubenartig nach oben aus dem Wasser dreht, dann Schlagseite bekommt und wieder runterfällt. Ein Gefühl, als säße man in einem Aufzug, der durch einen spiralförmigen Schacht in die Höhe gezogen wird und dann plötzlich wieder runtersaust. Jedes Glas rutscht sofort vom Tisch, Bücher und Stifte ebenso. Duschen wird zur artistischen Übung: Mit einer Hand festhalten, mit der anderen Duschgel nehmen, einseifen, abspülen, abtrocknen – und dabei mit lockeren Knien die schwankenden Bodenbewegungen ausbalancieren.

Gegen Abend besänftigt sich das Meer jedoch wieder, und wunderbar ruhige, richtig schön langweilige Tage auf See beginnen. Zehn Tage Zeit im Überfluß, nur die regelmäßigen Mahlzeiten geben den Tagesrhythmus vor. Aufwachen, frühstücken, den Vormittag über lesen. Mittagessen, den Nachmittag über lesen. Abendessen, im Bett noch was lesen, einschlafen. Da kann man sich sogar mal an Autoren wie Joyce oder Proust ranwagen. Wer sich für den Speiseplan interessiert (Abwechslung!), kann in der Küche dem philippinischen Chefkoch in die Töpfe gucken und sich zum Essen was aussuchen. Er kocht hervorragend und erfüllt gern Sonderwünsche. Überhaupt ist die Atmosphäre an Bord ausgesprochen angenehm, man kennt jetzt die Gesichter, nickt sich freundlich zu. Wir können überall ungestört herumlaufen, uns alles angucken. Nur die Verständigung ist ziemlich schwierig, zu den Sprachbarrieren kommt die extreme Schüchternheit der 20köpfigen Mannschaft.

Jeden Tag wird's ein paar Grad wärmer, klar, die Cap Changuinola bewegt sich mit 800 Kilometern pro Tag in Richtung Elfenbeinküste. Durch die langsame Annäherung verändert sich das Gefühl für Entfernung (die Flugzeit beträgt nur sieben Stunden). Man gewinnt Abstand, auch innerlich, ist nicht mehr so gefangen in den Dingen, die einen zu Hause beschäftigt haben. Europa rückt in die Ferne.

Tagsüber sitzen wir mit unseren Büchern an Deck und bemerken, daß sich doch einiges tut auf dem Meer. Manchmal begleiten Delphine das Boot eine Weile. Und kleine Fische springen aus dem Meer, flattern 20 bis 30 Meter angestrengt über Wasser und tauchen dann wieder ein. Aber die meisten werden von Vögeln erwischt, die, auf der Lauer liegend, sie im eleganten Flug aus der Luft schnappen. Warum bleiben die Fische nicht einfach im Wasser, wo sie schließlich hingehören? Ist der Atlantik schon so verschmutzt, daß so ein Fisch nicht mehr vom Trip runterkommt? Gar ein seltener Fall von Persönlichkeitsspaltung bei Fischen? Die Erklärung vom Käpten klingt noch tragischer: Die armen Fischlein halten das Schiff für ein riesiges Seeungeheuer, vor dem sie sich retten wollen und springen aus dem Meer – den Vögeln direkt in den Schnabel.

Nach zehn Tagen Land ist in Sicht! Strand und Palmen. Ein kleines Boot fährt auf uns zu – der afrikanische Lotse steigt an Bord, um uns in den Hafen von Abidjan einzuweisen. Wir brauchen eine ganze Stunde, um das weitläufige Hafenbecken zu durchqueren. Zunächst kommt die schwerbewaffnete Hafenpolizei an Bord, der erste Kontakt mit der einheimischen Ordnungsmacht. Unsere Zolliste sieht man mit ernster Miene durch, kontrolliert wird jedoch nichts. Wir erhalten einen Passierschein, und die Polizisten gehen mit vollen Plastiktaschen und zufriedenen Gesichtern von Bord. Ein kleiner Vorgeschmack auf Afrika.

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