: Keine Grabungen im lockeren Erdreich!
■ Was wird aus dem Theater der Freien Volksbühne nach der Musicalpleite?
Die ganze Woche ist noch keine Willens- und Absichtserklärung von Herrn Hochhuth bezüglich des Berliner Ensembles eingegangen. Das ist verdächtig. Denn hält sich einer wie er bedeckt, dann doch wohl nur, um Grabungen zu betreiben. So tauchte er nach heftigem Werben um den Konrad-Wolf-Saal gegenüber der Charité auch nur deswegen unter, um am Schiffbauerdamm aus dem Boden zu schießen. Höchste Zeit also, um in der Theaterlandschaft Berlin nach lockeren Stellen im Erdreich zu fahnden.
Wenden wir uns nach Westen, nach – Wilmersdorf. In der Schaperstraße 24, im Theater der Freien Volksbühne, wurde 1963 Hochhuths „Stellvertreter“ in der Regie von Erwin Piscator uraufgeführt. Heute leiert dort „Shakespeare & Rock'n'Roll“ vor sich hin. Noch. Denn gegen die säumige Mieterin Lighthouse Theatergesellschaft hat der Verein eine Räumungsklage angestrengt, die möglicherweise im April vollstreckt werden kann. Damit wäre die Zukunft des herrlich großen, 1961–63 von Fritz Bornemann gebauten Theaters wieder offen.
Denn nachdem der verschwenderischen Ära Neuenfels 1992 ein Ende gesetzt wurde, war zunächst keineswegs geplant, diese Schauspielbühne dem Musical zu überlassen. Vielmehr wurde diskutiert, hier ein „Theater der Nationen“ einzurichten, ein Haus für große Gastspiele also. Nur weil der damalige Kultursenator Roloff-Momin die Verhandlungen mit dem Verein Freie Volksbühne aus Finanzzwängen abbrach, mußte sich dieser von der Tradition des öffentlich subventionierten Schauspielbetriebs verabschieden und schloß mit dem Musicalbetreiber Friedrich Kurtz ab.
Dies schmerzte besonders den Leiter der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, war doch das Theater der Freien Volksbühne jahrzehntelang auch der Mittelpunkt des Theatertreffens. Das könnte es nun wieder werden. Nach wie vor hält Eckhardt die Idee, das Haus – etwa unter der Verwaltung der Festspiele – zu einem internationalen Gastspielort zu machen, für hervorragend. Und Bernd Szittnick, der Geschäftsführer des Vereins Freie Volksbühne, würde sich die Rückkehr zum Sprechtheaterbetrieb ebenfalls wünschen. Allein, es fehlt das Geld. Platzzuschüsse wären nötig, und die Jahresmiete in Höhe von 1,8 Millionen Mark muß auch bezahlt werden.
Die Kulturverwaltung will sich derzeit zum Thema Freie Volksbühne noch nicht so richtig äußern. Zwar sagte Kultur- und Wissenschaftssenator Peter Radunski gegenüber dem Tagesspiegel, er könne sich vorstellen, daß Peter Stein in der Schaperstraße seinen „Faust“ macht, wolle das Theater aber noch lieber als Ausweichmöglichkeit für baufällige Theater in Ostberlin „in der Hinterhand halten“. Aber Verhandlungen mit dem Verein, der die alleinige Entscheidungskompetenz über die Zukunft des Theaters hat, gibt es derzeit keine. Zweierlei wolle man abwarten, heißt es aus der Kulturverwaltung: Erstens den Nachtragshaushalt, zweitens die Rechtsstreitigkeiten mit Lighthouse.
Hoffentlich ist es dann nicht zu spät. Denn Szittnick wartet schon jetzt auf Angebote, kann es sich der Verein Freie Volksbühne doch nicht leisten, das Theater leerstehen zu lassen, wenn Musicalproduzent Friedrich Kurtz das Feld räumen muß, womit er rechnet.
Mehreres ist nun denkbar. Erstens: Szittnick erhält ein seriöses Musical-Angebot, mit dem Radunski nicht konkurriert, weil er es a) als Musicalfreund nicht will oder b) als Kultursenator finanziell nicht kann. Zweitens: Radunski erwärmt sich kurzfristig für ein Theater der Nationen und treibt als Kultursenator oder als ehemaliger Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten mittelfristig Geld dafür auf. Übergangszeiten könnten ja geregelt werden. Oder drittens: Rolf Hochhuth ruft eine Erwin-Piscator-Memorial-Stiftung ins Leben und bewirbt sich kraft bislang unbekannter Sponsorenvernetzungen als Pächter und Intendant. Petra Kohse
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