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Armee mit Gulaschkanone

■ Nur die Heilsarmee ist immer für die Junkies und Alkoholiker am Sielwalleck da

„Wir können uns keinen Junkie an die Brust heften, der frei geworden ist und jetzt Uniform trägt“, erzählt Kapitän Allrogge. Während vereinzelte KarnevalistInnen am vergangenen Samstag noch am O-Weg trommeln, trifft der suppenbeladene Bulli der Heilsarmee am Sielwalleck ein. Schnell werden Klapptische aufgebaut, Infobroschüren ausgelegt und natürlich die dampfende Terrine plaziert. Die, die am Eck zu Hause sind, erscheinen pünktlich um 18 Uhr, denn sie wissen, was jetzt kommt: Eine warme Mahlzeit von der Heilsarmee für Junkies und andere.

Eigentlich wird immer noch ein kurzer Gottesdienst abgehalten oder ein Posaunenchor spielt, aber bei dieser Kälte hat selbst das Wort Gottes nur eine knapp bemessene Chance: Nach einem kurzem Gebet gibt es die Gulaschsuppe mit Würstschen- und Reiseinlage, dazu Brötchen und ein freundliches Wort vom uniformierten Kapitän Allrogge. Als Gemeindeleiter der Heilsarmee in Bremen begrüßt er jeden persönlich und drückt allen ein Plastikbesteck in die Hand.

Heute schenkt die 19jährige Miriam die heiße Suppe aus. Sie ist noch kein Mitglied in der Heilsarmee, kommt aber seit über zwei Jahren so oft es geht aus Bokholzberg zum Eck, um zu helfen. Zu Beginn ihrer seelsorgerischen Tätigkeit flogen auch schon mal Bierdosen in die Terrine. „Diese Aggressionen haben sich aber jetzt gelegt, weil die Leute einen nun kennen“, erzählt Miriam. Unterstützt wird sie von Marco, seit kurzem Heilssoldat, der die Brötchentüten ausgibt.Weil sie wissen, daß hier jeder etwas zu essen bekommt, stellen sich Junkies, AlkoholikerInnen und die, die „Platte machen“, ordentlich in Reih und Glied an.

Ein Mann im gepflegten dunkelblauen Mantel erwischt noch eine der letzten von gut dreißig Portionen. Er ist nicht nur wegen der Suppe hier: „Mich interessiert die frische Jugend, die schönen Jungs. Es ist interessanter, lebendige Menschen um sich zu haben, als nur Fernsehen zu gucken.“

Seit über drei Jahren steht die Heilsarmee schon hier. Samstag für Samstag schenken sie Suppe aus und versuchen Junkies und Alkoholabhängigen ein Wort Gottes mit auf den Weg zu geben. Viele kennen sie mit Namen und wissen von ihrer persönlichen Problemlage. „Das sind wirkliche Menschen“, sagt einer, der fast jeden Samstag ans Eck kommt, „der Kapitän Allrogge hat mir geholfen, als meine Mutter gestorben ist, und mich zum Beten gebracht.“

Kapitän Allrogge: „Die Fähigkeit, solche Angebote anzunehmen, ist bei Junkies sehr viel geringer als etwa bei Alkoholabhängigen.“ Trotzdem, die Suppe wird von allen gern gelöffelt, und die Plastikteller artig im aufgestellten Gelben Sack entsorgt.

Kapitän Allrogge war selbst am Anfang nicht besonders angetan von der Vorstellung, gerade die Junkies zu beköstigen. „Ich hab vielleicht die Ärmsten der Armen gesucht, aber hier wollte ich nicht unbedingt hin. Ich hab gedacht, alles, nur das nicht.“ Daß es dann doch so kam, lag an einem Junkie, der bloß „eine Mark“ haben wollte. Diesem erwiderte Kapitän Allrogge in Anlehnung an ein Bibelzitat: „Silber und Gold hab ich nicht, aber das, was ich hab, das gebe ich dir.“ Anders als Petrus konnte Allrogge zwar „den Lahmen nicht zum Gehenden machen“, aber er reichte ihm Brot und schenkte Kaffee aus.

Gegründet wurde die Heilsarmee im letzten Jahrhundert in England. Seitdem hält man konsequent an den Uniformen und dem militärischen Vokabular fest: Ein Gemeindemitglied ist nicht einfach ein Gemeindemitglied, sondern „Heilssoldat“ und „Salutist“, „Soldatin“ und „Salutistin“, die Gemeinde heißt „Korps“ und ihr Vorsitzender „Offizier“.

Von den religiösen Inhalten wollen aber die meisten SuppenkundInnen hier nichts wissen. Die eigentliche Zielgruppe, die Junkies, tauchen nur kurz auf, löffeln ihre Suppe im Stehen und verschwinden wieder. Andere hält es etwas länger. Einer zeigt seine neue Uhr herum, die „von seiner Freundin aus der Vahr ist“ und auf Knopfdruck grün blinkt. Viele kennen sich und verabreden sich für 19 Uhr zum Wintercafe der Heilsarmee in den Runken, wo es im Anschluß an die Suppe in den kalten Monaten noch Kaffee und Kuchen für die Sielwall-Gemeinde gibt.

Das „Cafe“ findet in den Räumlichkeiten der freikirchlichen „Landeskirchlichen Gemeinschaft“ statt. Schon eine Stunde vor dem Eintreffen ihrer durchgefrorenen Gäste haben ehrenamtliche Helferinnen hier Stühle gerückt, Kaffee gekocht und sogar kleine Blumengestecke auf den Tischen arrangiert. Punkt Sieben werden die Türen aufgeschlossen und jeder Gast händeschüttelnd begrüßt. In den gut beheizten Räumen bietet man normalerweise auch immer ein kleines Programm, das von Pantomime bis zu Turnieren am freikirchlichen Kicker reicht. Der für diesen Samstag geplante Liederabend muß allerdings wegen Krankheit ausfallen.

Am vergangenen Samstag hatten knapp dreißig Männer den Weg ins Cafe gefunden. Die ehrenamtlichen Helferinnen sitzen mit an den Tischen und plaudern mit den Gästen über Alkohol, Einsamkeit und den Sinn des Lebens.

„Jeder ist willkommen“, erklärt Meike Schmeel, eine der ehrenamtlichen Helferinnen, „es werden keine Bedingungen gestellt.“ Aber auch hier soll wieder Gott reden. „Das mit Gott ist wichtig“, meint einer der Anwesenden, „aber für die meisten ist das hier nur ein warmer Platz, an dem man Leute trifft.“

Das Wintercafe suchen kaum Junkies auf. „Es sind eher die Alkoholabhängigen und Leute, die andere Probleme haben, die dieses Angebot wahrnehmen“, erklärt Kapitän Allrogge.

Die Junkies kommen erst nächsten Samstag um sechs zur Suppe wieder. Falls es noch länger so kalt bleibt, könnten sie aber auch schon am Donnerstag zur Kleiderkammer der Heilsarmee in die Neustadt gehen. Auch da sind die Soldaten Gottes für sie da. ans

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