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Von Müll läßt es sich gut leben

In Madrid ist Altpapiersammeln ein Sektor mit Zukunft: Zwei Brüder holen auf Bestellung Zeitungen, Endlospapier und Broschüren ab  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Der verbeulte Lieferwagen hält mitten im Madrider Geschäftsviertel. Javier und Marco springen heraus. Alter Anorak, Jeans, Turnschuhe – unter so vielen leitenden Angestellten erregt ihr Outfit Aufsehen. Mit zwei großen Plastikmülltonnen und einem Handy bewaffnet streben sie auf den Eingang eines Bürohochhauses zu. Ein freundliches Lächeln, ein knapper Gruß – ab in den Aufzug.

Nach etwa zehn Minuten kommen Javier und Marco mit zufriedenen Gesichtern zurück. Die Tonnen quellen über. „Dieses Mal hat es sich gelohnt“, erzählt Javier und zeigt auf das im Reißwolf zerstückelte Endlospapier. „22 Pfennig pro Kilo wird dafür bezahlt.“ Altpapier ist bares Geld, je nach Qualität zwischen drei und 25 Pfennig das Kilo. Seit eineinhalb Jahren leben die Brüder Javier (34) und Marco (37) von dem, was die Büros ausspucken.

„Wir kamen durch einen Zufall dazu“, sagt Javier. Als vor zwei Jahren das kleine Reisebüro von Marcos Frau auf Unmengen von Werbeprospekten aus der Sommerkampagne sitzengeblieben war, brachten die beiden das Zeug in ihrem Lieferwagen zu einer Papiersammelstelle. 150 Mark drückte der Chef dem verdutzten Javier in die Hand. Heute weiß er: „Hochglanzbroschüren sind das bestbezahlte Altpapier.“

Eine Idee war geboren. Ein Telefon, ein Anrufbeantworter, ein Handy und eine Aufschrift auf den Lieferwagen: „Wir entsorgen Ihr Altpapier. Kostenlos.“ Und eine Werbesendung an Hunderte Büros – das Unternehmen stand. Über 300 Kunden zählt ihre Kartei mittlerweile. Das Prinzip ist ganz einfach: „Die rufen uns an, und wir schauen noch am gleichen Tag vorbei.“ Bis zu 20 Tonnen kommen so im Monat zusammen.

Durchschnittlich 1.300 Mark verdient jeder. „Und das heute, nachdem die Preise auf ein Drittel von dem vor einem Jahr gesunken sind“, so Javier. Schuld daran ist die Einfuhr von Altpapier aus der EU zu Dumpingpreisen. Vor allem Papier aus deutschen Landen ist bei den Wiederverwertern begehrt, denn damit verdienen sie am besten. Die deutsche Abfallindustrie zahlt Zuschüsse, um den Müll loszuwerden. Das einheimische Altpapier wandert so immer öfter auf die Müllhalde.

„Als die Preise ganz oben waren, explodierte der Sektor regelrecht“, schwelgt Javier in Erinnerungen. Und alle verdienten sie gut. Neben den fünf großen Unternehmen, die ihre Container in Großdruckereien aufstellen, sammelten Nacht für Nacht über 300 LKWs Kartons und Papier aus den Abfällen vor den Bürohochhäusern. „Die kümmern sich um das, was wir und ein Dutzend andere übriglassen“, wirft Marco ein.

Die beiden Brüder gehören zu der Elite unter den Papiersammlern. „Wir nehmen zum Beispiel keine Kartons mit, die bringen heute gerade mal drei Pfennig, das lohnt sich nicht“, erklären sie ihre Unternehmensphilosophie. In besseren Zeiten war das Papier so begehrt, daß die von der Stadtverwaltung auf öffentlichen Plätzen aufgestellten Altpapiercontainer aufgebrochen und geplündert wurden. Das ist vorbei. Und von einst 300 LKWs sind noch 30 übrig.

Javier und Marco wollen auf jedenfall durchhalten, bis sich die Lage entschärft. Die Alternative wäre die Arbeitslosigkeit. „Auch wenn die Preise wohl kaum mehr auf das Vorjahresniveau steigen, so tief werden sie nicht bleiben“, ist sich Javier sicher. Er glaubt an die Zukunft des Recylinggeschäftes. Das spanische und das deutsche Umweltministerium haben erst kürzlich ein Abkommen geschlossen, nach dem künftig jeder bilaterale Handel mit Altpapier genehmigt werden muß, um das Dumping zu unterbinden. Und noch in diesem Jahr wird der führende Papierhersteller Spaniens in Madrid die größte Fabrik für Umweltschutzpapier auf der iberischen Halbinsel aufmachen.

„Dann werden wir wieder gebraucht“, da sind sich die beiden ganz sicher. Solange Madrid täglich rund 1.000 Tonnen Papierabfälle ausspuckt – 12.000 Tonnen sind es im ganzen Land –, mangelt es nicht an Arbeit. Nur 37 Prozent davon werden bisher eingesammelt, um dann zu zwei Dritteln recycelt zu werden. Javier denkt volkswirtschaftlich: „Ein Land wie Spanien, fast ohne Wald, kann sich das auf Dauer nicht leisten.“

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