Der Sündenbock wurde rausgetrieben

■ Edzard Reuter gibt seinen Posten im Aufsichtsrat von Daimler-Benz zurück - "Höchste Zeit", meinen die Kritischen AktionärInnen und fordern gleich den Rücktritt des gesamten Gremiums

Berlin (taz/dpa/rtr) – Edzard Reuter hat sein Aufsichtsratsmandat bei Daimler-Benz mit sofortiger Wirkung zur Verfügung gestellt. Das bestätigte er gestern bei einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn. Reuter sollte dort als Vorsitzender eines Runden Tisches zum Thema Wirtschaft und Sport fungieren. Nähere Gründe für den Rücktritt waren nicht zu erfahren. Daimler-Benz gab keinen Kommentar. Reuter gehört dem Aufsichtsrat seit Mai 1995 an.

Peter Schönfelder, der als Betriebsrat im Aufsichtsrat sitzt, wunderte sich: „Eigentlich war der Druck auf Reuter Mitte letzten Jahres stärker.“ Bei der letzten Sitzung am 22. Januar habe Reuter jedenfalls nichts angedeutet. „Ich sehe in Reuter trotz mancher Kritik eine prägende Unternehmerpersönlichkeit für den Konzern“, meinte er.

Niemand bestreitet, daß Reuter in seiner Zeit als Finanzvorstand, seit 1987 auch als oberster Chef, Daimler stark verändert hat. Viele meinen jedoch, eher negativ: Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre zum Beispiel hatte bereits 1995 den Rücktritt Reuters aus dem Aufsichtsrat gefordert und begrüßte nun die Entscheidung: „Damit übernimmt er die Verantwortung für die hohen Verluste und Fehlentscheidungen der letzten Jahre“, sagte eine Sprecherin.

Die Stuttgarter Kritischen AktionärInnen Daimler-Benz (KAD) forderten in Stuttgart sogar den Rücktritt des gesamten Aufsichtsrates mit 20 Mitgliedern spätestens auf der Hauptversammlung im Mai. „Der gelungene Versuch der Großaktionäre, Reuter als alleinigen Sündenbock für die Konzernpolitik zum Verzicht auf sein Mandat zu bewegen, ist pure Heuchelei“, sagte der Verband. Nur die Ablösung der „Ja-Sager und Vollstrecker der Reuterschen Diversifikationspolitik“ mache den Weg frei für „weitsichtige Aufsichtsratsmitglieder, die eine gewinnträchtige, sozial- und umweltverträgliche Produktpalette garantieren“, so KAD-Sprecher Holger Rothbauer. Hauptaktionär bei Daimler-Benz ist die Deutsche Bank mit 24,4 Prozent der Anteile, gefolgt vom Emirat Kuweit mit 12,9 Prozent.

Reuter wurde am 16. Februar 1928 in Berlin geboren. Sein Vater war der spätere Regierende Bürgermeister, Ernst Reuter. Edzard studierte Jura, ging in die Wirtschaft und wurde 1964 von Hanns Martin Schleyer zur Daimler-Benz AG geholt. Er stieg die Ränge hoch bis in die Vorstandsetagen. Unter seiner Regie kaufte sich Daimler in den Achtzigern bei AEG, Dornier und Fokker ein, Airbus, MBB und die Maschinen Turbinen Union (MTU) wurden geschluckt. Damit war in Deutschland ein Rüstungs- und Verkehrsriese entstanden. Dummerweise ging die Strategie nicht auf: Der Gewinn stürzte ab. Erst im Januar bezifferte Reuter-Nachfolger Jürgen Schrempp das Jahresergebnis 1995 auf minus sechs Milliarden Mark. rem