: Der Tag der Wahrheit im britischen Irakgate
■ Heute legt die „Scott-Kommission“ ihren Bericht über illegale Waffenlieferungen Großbritanniens an den Irak vor. Vorwürfe richten sich auch gegen John Major
Dublin (taz) – Sie werden ein Bauernopfer bringen müssen. Wahrscheinlich wird es den britischen Generalstaatsanwalt Nicholas Lyell treffen, wenn der Richter Richard Scott heute nachmittag seinen Untersuchungsbericht zu „Irakgate“ veröffentlicht. Seit ein Zwischenbericht im vergangenen Jahr durchgesickert ist, weiß man, daß Scott ein Netz von Lügen und Intrigen ans Licht gebracht hat, in das nicht nur fünf Kabinettsmitglieder und Dutzende höchster Regierungsbeamter verwickelt sind, sondern auch Premierminister John Major. Die Regierung hatte eine Woche Zeit, die 1.800 Seiten zu studieren und ihre Verteidigungsstrategie aufzubauen, die Opposition bekommt den Bericht erst drei Stunden vor der Veröffentlichung zu sehen.
Premierminister Major, jetzt selbst unter Beschuß, hatte die Scott-Kommission im November 1992 ins Leben gerufen. Es war die ausführlichste und wichtigste Untersuchung, die sich je mit der Arbeit einer Regierung auseinandergesetzt hat. Scott hat in den vergangenen drei Jahren mehr als 200.000 Regierungspapiere gelesen und 270 ZeugInnen verhört. Thema: illegale Waffenexporte in den Irak. Noch sechs Tage vor der Invasion Kuwaits genehmigte die Londoner Regierung eine weitere Sendung für Saddams Raketenprogramm.
Aufgeflogen ist das ganze im November 1992 während des Prozesses gegen drei Vorstandsmitglieder der Maschinenfabrik Matrix Churchill. Die Angeklagten mußten freigesprochen werden, weil sie anhand von Regierungsdokumenten nachweisen konnten, daß sie nicht nur mit Wissen der Regierung und der Geheimdienste, sondern gar in deren Auftrag Rüstungstechnologie und Waffenteile an den Irak geliefert hatten. Die Geheimdienste MI-5 und MI-6 profitierten erheblich von der Mitarbeit. 1989 und 1990 unternahm ein Matrix-Vorständler acht Geschäftsreisen nach Bagdad und spionierte dabei das Condor-Raketenprogramm sowie die konventionelle, atomare und chemische Schlagkraft des Irak aus. Und bereits 1989, das meldete gestern die Zeitung Independent, wußte die Regierung durch deutsche und britische Geheimdienstberichte, daß Matrix Churchill auch Material für das Atomwaffenprogramm Saddam Husseins lieferte.
Das Kabinett hatte in einer geheimen Sitzung im Sommer 1988 entschieden, die Waffenexportbeschränkungen aus dem Jahr 1985 zu lockern. Vor dem Parlament behauptete man jedoch das Gegenteil. William Waldegrave, heute zweiter Mann im Finanzministerium, war als Staatssekretär im Außenministerium direkt an der Sache beteiligt. Er sagte zu Scott, daß dies keineswegs ein Kurswechsel gewesen wäre – einen solchen hätte man nämlich im Unterhaus bekanntgeben müssen. Scott bezichtigte Waldegrave in seinem Zwischenbericht der „Wortklauberei“ und der Irreführung zahlreicher Abgeordneten. Ob er Waldegrave auch unterstellt, bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben, wird sich heute herausstellen.
Major wird ebenfalls nicht ungeschoren davonkommen. In Scotts Entwurf hieß es, spätestens im September 1989 „hätte man erwarten können, daß er über den Kurswechsel Bescheid wußte“. Majors Stellvertreter Michael Heseltine steht als einziger der damals Beteiligten mit weißer Weste da, weil er sich zunächst geweigert hatte, eine Immunitätserklärung zu unterzeichnen, um das Entlastungsmaterial im Matrix-Prozeß zu unterdrücken. Er unterschrieb erst auf ausdrückliche Anweisung des Generalstaatsanwaltes Lyell.
Der damalige Innenminister Kenneth Clarke, Sozialminister Peter Lilley und Verteidigungsminister Malcolm Rifkind, der inzwischen Außenminister ist, hatten sich – letztendlich vergeblich – auf „öffentliches Interesse“ berufen und waren bereit, die Angeklagten der Rüstungsfirma 1992 ins Gefängnis wandern zu lassen, um ihre eigene Haut zu retten.
Die Scott-Untersuchung sollte eigentlich zur Beruhigung der Öffentlichkeit dienen, doch der liberale Richter spielte bei der Public- Relations-Übung nicht mit. So versucht man es nun mit Rufmord: Die beiden ehemaligen Außenminister Douglas Hurd und Geoffrey Howe sowie Margaret Thatchers Pressesprecher Bernard Ingham unterstellten Scott vor kurzem, daß er Verfahrensregeln mißachtet und Zeugen unfair behandelt habe. Howe deutete an, daß Scott ein Mann von schlichtem Gemüt sei und komplizierte Regierungsgeschäfte seinen Horizont überstiegen. Scott bezeichnete die Kampagne als „lächerlich“. Mal sehen, wer heute zuletzt lacht. Ralf Sotscheck
Siehe Portrait Seite 11
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