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Großoffensive gegen die Militärlobby

Die fetten Jahre der französischen Militärs und der Rüstungsindustrie sind vorbei  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Das Dementi aus dem Verteidigungsministerium kam postwendend: Kaum hatte die Tageszeitung Le Monde am Dienstag abend gemeldet, die Truppenstärke des französischen Heeres solle um die Hälfte reduziert werden, was unter anderem radikale Konsequenzen für die Militärpräsenz in Deutschland im Eurocorps und in mehreren afrikanischen Ländern hätte, bestritt Minister Charles Millon alles. „Es gibt noch keine Entscheidung“, erklärte er in einem vergeblichen Versuch, die Gemüter zu beruhigen.

Denn tatsächlich stehen die Zeichen in Frankreichs Militärwelt schon seit Wochen auf Sturm. Die Einrichtung einer nationalen Kommission unter Vorsitz des Verteidigungsministers, die Empfehlungen für das „Militärprogramm 1997-2002“ ausarbeiten soll, hatte dazu den Ausschlag gegeben. Die Kommission soll jeden einzelnen Sektor analysieren. Sie soll sowohl mit Militärs als auch mit Industriellen, mit Lokal- und Regionalpolitikern und Gewerkschaften verhandeln. Bis Mitte März soll sie ihr Programm vorlegen, dessen Hauptziele heißen: Sparen und Reduzieren. Anschließend wird Staatspräsident Jacques Chirac seine Präferenzen für die künftige Militärpolitik bekanntgeben und wird die Nationalversammlung debattieren. Im kommenden Juni schließlich soll das Gesetz über das Militärprogramm abstimmungsfähig vorliegen.

Seit seinem Amtsantritt im Mai letzten Jahres hatte Präsident Chirac keinen Hehl aus seiner Absicht gemacht, radikale Streichungen im Militärhaushalt vorzunehmen. Auch die mögliche Umwandlung der Wehrpflicht in einen zivilen nationalen Dienst hatte er in Aussicht gestellt. Doch die großen Reformen sind nicht erst seit dem vergangenen Jahr angedacht. Schon Mitte der 80er Jahre zeichnete sich die Notwendigkeit radikaler Einschnitte im Militärhaushalt ab, doch sämtliche Anläufe von rechts und links, diese durchzusetzen, scheiterten an politischen Widerständen. Im Umfeld des gegenwärtigen Verteidigungsministers wird unter anderem die Kohabitation zwischen dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand und wechselnden konservativen Regierungen für die zahlreichen Aufschübe verantwortlich gemacht. Möglicherweise ist die Sorge vor einer neuerlichen Kohabitation nach den Parlamentswahlen im Jahr 1998 auch einer der Gründe, weshalb der neue Präsident Chirac jetzt das Projekt mit so viel Eile angeht.

Für die französische Militärlobby, die mit den sechs Atomtests im Südpazifik noch einmal fröhliche Urständ feiern konnte, ändert sich die Lage radikal. Seit General de Gaulle 1958 die Verteidigung zur „nationalen Priorität“ erklärte, hatten sich weder die 606.000 Uniformierten noch die vielen hunderttausend Beschäftigten des militärisch-industriellen Komplexes echte Existenzsorgen machen müssen. Abgesehen von kleineren Reformen in den 60er Jahren, nach dem Algerienkrieg und Anfang der 70er Jahre konnte der Sektor schalten und walten, wie es seine Lobby für richtig hielt. Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes blieb in Frankreich die Soldatenzahl hoch, der Wehrdienst lang, ein ziviler Ersatzdienst die große Ausnahme und das Herzstück der Verteidigung, die atomare „Force de Frappe“, eine unantastbare heilige Kuh. Ähnliches galt für die Rüstungsindustrie, die ungestört von den veränderten internationalen Marktverhältnissen aus dem Vollen schöpfen konnte.

Vor wenigen Jahren, als das Management des großen Rüstungskonzerns „GIAT“ 4.000 Entlassungen vorschlug, um die Produktion wirtschaftlicher zu gestalten, führte der Sturm der Entrüstung von Gewerkschaftern und Lokalpolitikern an sämtlichen GIAT- Standorten noch dazu, daß die Regierung entschied, das Vorhaben auf 1.500 Entlassungen einzudämmen. Die heutige Administration in Paris setzt die Prämissen anders: Sie verlangt Rentabilität von den Rüstungskonzernen, spricht von Budgetkürzungen, Privatisierungen und möglichen Fusionen. Selbst jahrzehntelange Tabus, wie der Ankauf von kostengünstigerem US-amerikanischen Kriegsmaterial ist kein Tabu mehr.

So ist das Schicksal des 200 Milliarden Francs schweren französischen „Rafale“-Programms noch keinesfalls entschieden. Der Kampfflieger, dessen gegenwärtig einziger Kunde die französische Armee ist, könnte durch amerikanische „F 18“ ersetzt werden, die nur halb soviel kosten. Auch die neuen U-Boote „Triomphant“ – die Träger der schwergewichtigen seegestützten Atombomben, die auf Moruroa getestet wurden – könnten von dem Sparpogramm betroffen sein.

Sowohl in der nordfranzösischen Hafenstadt, wo die Rüstungsschmiede DCN mit 4.160 Beschäftigten im Zentrum der Wirtschaft steht, als auch an den anderen Produktionsstätten, die überall in Frankreich, abgesehen von dem Grenzgebiet zu Deutschland verteilt sind, stehen gigantische Umstrukturierungen bevor. 220.000 Franzosen arbeiten direkt in der Rüstungsindustrie, 100.000 indirekt. Tiefe Einbrüche erleiden werden auch die französischen Garnisonsstädte, wo der gesamte tertiäre Sektor auf die Kasernen konzentriert ist. Die Gewerkschaften sprechen von einem bevorstehenden „sozialen Erdbeben“, das ähnliche Auswirkungen für die Umstrukturierung der Metallindustrie in den 80er Jahren haben wird. Damals waren Hunderttausende arbeitslos geworden, ganze Regionen verarmt und politisch teilweise nach extrem rechts abgedriftet.

Minister Millon hört den Begriff „soziales Erdbeben“ ebenso ungern wie den Vergleich mit der Metallindustrie. Die Rüstungsindustrie sei diversifizierter, als damals die Metallindustrie, heißt es im Verteidigungsministerium. Nicht alles in dem militärisch-industriellen Sektor müsse verändert, nicht überall eingespart werden. Es gebe auch Bereiche, die international konkurrenzfähig seien – zum Beispiel die französische Produktion von Feldlazaretten.

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