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Der ratlose Souverän

■ Was sollen Italiens Wähler eigentlich entscheiden?

Nun hat der Bürger in Italien also wieder das Wort. Die Entscheidung kehrt zum Souverän zurück, als der „das Volk“ in der Demokratie gilt.

Schön. Aber was soll er entscheiden? Vor zwei Jahren redete man ihm ein, er müsse wieder ran, weil die alte Nomenklatura wegen allzuviel Schmiergeldkassierens delegitimiert sei. Doch die neue politische Führungsschicht blamierte sich unentwegt. Erst die dann eingesetzte Technokraten-Administration aus lauter Nichtpolitikern, von deren Mitgliedern kein einziges vom Volk irgendwohin gewählt worden war, verschaffte der Nation nach Jahrzehnten wieder einen seriösen Haushalt, ein tragbares Rentengesetz und schuf die Bedingungen für den Wiedereinstieg in die europäische Währungsschlange. Genau diese so effizienten Minister aber werden sich nun nicht zur Wahl stellen.

Ach ja, dann ist da noch die Verfassungsreform. An ihr hatte sich zuletzt die Hoffnung auf eine Große Koalition festgekrallt. „Semipresidenzialismo“ hieß die Zauberformel – ohne daß bis heute auch nur einer genauer festgestellt hätte, was das ist. Die Rechte bevorzugt einen Präsidenten nach französischer Art, mindestens mit dessen schon weitreichenden Vollmachten, unabsetzbar und faktisch Chef der Exekutive. Die Moderaten mögen lieber eine Art Kanzler wie in Deutschland, die Linksdemokraten könnten sich hingegen einen direkt gewählten Regierungschef vorstellen, aber nun unter einem ebenfalls sehr starken Parlament – was auch keinen rechten Sinn macht. Die Ligen möchten den Föderalismus festschreiben und am liebsten die zentrale Regierung nur noch als außenpolitisches Repräsentativorgan. Die Neokommunisten wollen am liebsten alles beim alten lassen.

Was also soll der Souverän da nun entscheiden? All die Dinge, die ihm am nächsten liegen, stehen offenbar überhaupt nicht zur Abstimmung, von der Arbeitslosigkeit bis zum total disfunktionalen Gesundheitswesen. Und so steigt im Volk, zu Recht, die Wut auf die Politiker.

Weshalb diese den Schwarzen Peter schlitzohrig wieder an die Bürger zurückzugeben versuchen: Bitte schön, bitte schön, wenn ihr meint, wir können's nicht, dann wählt euch doch das Parlament und die Regierung, die euch das Glück bringt. Wenn's nicht klappt, ist es eure Schuld. Werner Raith, Rom

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