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Wir lassen lesenHerberger ist Heidegger

■ Literarischer Seitfallzieher aus abseitsverdächtiger Position

Das Runde muß ins Eckige. Diese alte Trainerweisheit gilt auch und erst recht auf dem Wachstumsmarkt Fußball-Literatur – deren Medium schließlich genauso rechtwinklig wie das Gehäuse auf dem Rasen ist. Nach dem letztjährigen, beeindruckenden Hattrick von Christoph Biermann, Christoph Bausenwein und Nanni Balestrini hat jetzt Dirk Schümer, Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit „Gott ist rund. Die Kultur des Fußballs“ zum literarischen Torschuß angesetzt.

Der Text beginnt mit einer – natürlich hypothetischen – Begründung der Lächerlichkeit des Kickens („Weshalb Fußball eigentlich unerträglich ist“) und endet mit seiner allumfassenden Erhöhung zur selbstreferentiellen Religion: „Fußball ist Fußball ist Fußball?“ Dazwischen klopft Schümer Stadien und Spieler, Medien, Politik und Geschäft auf ihre Funktion als Rädchen im großen Weltmodell Fußball ab. Das geschieht nicht immer auf überzeugende Weise; gegenüber dem witzigen und gelungenen Rahmen des Buches läßt der Mittelteil zu wünschen übrig. Neben einigen Fehlern im Detail (Matthias Sindelar beispielsweise, der beste Stürmer der 30er Jahre, spielte bei Austria Wien, nicht beim SK Hakoah) fällt eine locker daherkommende Standpunktlosigkeit auf: viel Beschreibung, wenig Stellungnahme.

Natürlich hat Schümer nicht unrecht, die „Früher war alles besser“-Fraktion unter seinen Kollegen als notorische Nostalgiker zu tadeln. Aber das sollte kein Grund sein, über mehrere Seiten interessiert-kommentarlos die Gepflogenheiten in der VIP-Lounge des FC Bayern zu schildern. Die Entwicklung der Stadien zu hyperkommerzialisierten Dienstleistungsparks steht schließlich auch unter anderen Vorzeichen, als dem des unabänderlichen Laufes der Zeit. Schümer sieht hier ausschließlich Phänomene, keine Probleme: „So wird es kommen“, lautet sein Resümee, Punkt, aus. Mit allzu kurzen Verweisen auf die Sitzplatzproblematik und die zu bewahrende „echte“ Fan-Emotionalität etwa bei St. Pauli – wo der Autor nach der biographisch weitverbreiteten Frühachtziger- Fußballücke zum Stadionbesuch zurückfand – ist es da nicht getan.

Im Nachwort erläutert Schümer die Genealogie seiner Fußballbeziehung. In der Schule wurde er nicht in die Klassenauswahl berufen: „So kommt man zur Theorie.“ Und offenbar zu einer ironischen Distanziertheit, die immer pointiert, oft scharfsinnig, aber manchmal nicht mehr als mißglückte Ethnologie ist. Überzeugend sind Schümers Ausführungen dort, wo medial vermittelte Wahrnehmungen des Fußballs zur Debatte stehen, etwa im Fernseh- oder Literaturkapitel.

Die direkte Beschreibung der „Fans, Kutten und Hooligans“ dagegen wirkt stereotyp und soziologisch. Auch dort wird das kritische Spektrum ganz ausgeblendet, wenn der Autor die Entfremdungserscheinungen des Fußballs pauschal den Zuschauern anlastet: „Der entscheidende Wandel liegt bei den Fans, die sich widerstandslos haben kommerzialisieren lassen.“ Bunte Liga Frankfurt, bitte übernehmen!

Dennoch läßt sich aus „Gott ist rund“ manches lernen: Jupp Derwall ist Horst Herold, Sepp Herberger ist Martin Heidegger, Dirk Schümer ist nicht Dietrich Schulze-Marmeling. Das Buch gleicht einem eleganten Seitfallzieher aus aussichtsreicher – wenn auch abseitsverdächtiger und auf jeden Fall nicht halblinker – Position, der das runde Objekt der Begierde dann doch nicht voll trifft. Die klassische Konstellation, in der Heribert Faßbender „Das wäre ein Tor wert gewesen, liebe Fußballfreunde“ gesagt hätte. Malte Oberschelp

Dirk Schümer: „Gott ist rund. Die Kultur des Fußballs“. Berlin Verlag, 272 Seiten, 36 DM.

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