: Großes Mißtrauen in Mostar
■ Aufgeheizte Stimmung auf beiden Seiten des Schlagbaums. Die Bewegungsfreiheit konnte nicht durchgesetzt werden. Feuer von Heckenschützen führte zur Schließung des Übergangs
Mostar (AP/AFP/taz) – Die auf dem Bosnien-Gipfel in Rom geweckten Hoffnungen auf eine Entspannung in Mostar haben sich gestern zunächst zerschlagen. Kroatische Extremisten beschossen kaum eine Stunde nach der offiziellen Wiederherstellung der vollen Bewegungsfreiheit im kroatischen Teil Mostars ein Fahrzeug aus dem muslimischen Osten der herzegowinischen Gebietshauptstadt. Die vier Männer standen hinter einer Mauer, von der aus die Schüsse vermutlich abgegeben worden waren. Bosnisch-kroatische Polizisten waren bei dem Vorfall anwesend, griffen aber nicht ein. Verletzt wurde jedoch niemand.
Die Schüsse wurden von teilweise vermummten Kroaten abgegeben, von denen einer eine Hitler-Maske und einen Mantel mit Hakenkreuzabzeichen trug. Die europäische Polizei leitete eine Untersuchung ein. Nach dem Beschuß gaben viele Moslems ihr Vorhaben auf, die Demarkationslinie zu überqueren.
Der Beginn gemeinsamer Patrouillen von muslimischen und kroatischen Polizisten im Zentrum Mostars wurde zunächst ebenfalls verschoben. Die kroatischen Polizisten erschienen nicht zu dem geplanten gemeinsamen Kontrollgang.
Offiziell war die Vereinigung Mostars gestern mit der Öffnung der Demarkationslinie um 12.00 Uhr vollzogen worden. In der ersten halben Stunde passierten 300 Menschen die bisherige Grenze in beiden Richtungen. Etwa 200 Muslime hatten sich am Schlagbaum auf der Ostseite der Stadt in strömendem Regen eingefunden. Nach kurzer Prüfung ihrer Papiere wurden sie in den Westteil gelassen.
Manche trauten sich jedoch nicht mehr als ein paar Meter auf das jahrelang feindliche Gebiet. Dort wurden sie in der Tat von kroatischen Mitbürgern der herzegowinischen Hauptstadt mit Beschimpfungen und Drohungen überhäuft.
Augenzeugen berichteten überdies, zwei Muslime seien von der kroatischen Polizei festgenommen worden, nachdem sie mit einem Auto einen Kontrollpunkt passiert hatten, der nur für Fußgänger geöffnet gewesen sei. Der Besucherstrom aus dem Ostteil der Stadt ebbte daraufhin merklich ab.
Der Vorfall ereignete sich in einer aufgeheizten Atmosphäre auf beiden Seiten des Schlagbaums. Das Auto aus dem muslimischen Viertel war mit vier Personen besetzt. Es fuhr dicht hinter einem Ifor-Fahrzeug über die Demarkationslinie in den kroatischen Teil hinein.
Dabei kam es zu einem hitzigen Wortwechsel zwischen den Autoinsassen und der Polizei. Die vier Muslime erklärten, es herrsche seit 12.00 Uhr Bewegungsfreiheit in der gesamten Stadt, und verlangten Durchlaß. Offenbar aus Nervosität lenkte der Fahrer das Auto 20 Meter hinter der Grenze gegen einen Baum. Wütende Kroaten umringten das Fahrzeug darauf. Zwei Muslimen gelang die Flucht zurück über die Grenze, die beiden anderen Insassen wurden festgenommen.
Die Festnahme löste lautstarke Proteste auf muslimischer Seite aus. Unbekannte hißten eine weiß- grüne Halbmondflagge. Die Polizei im muslimischen Sektor forderte die Menge auf, die Fahne wieder einzuholen und weitere Provokationen zu unterlassen. Die Fahne blieb vorerst am Mast.
Die kroatische Polizei erklärte am Nachmittag, sie sei nun zu gemeinsamen Streifen mit Kollegen aus dem muslimischen Ostsektor, aus Sarajevo und Beamten der Westeuropäischen Union (WEU) im Stadtgebiet bereit. Der Sprecher der WEU-Polizei, der Brite Howard Fox, teilte mit, der erste Streifengang solle um 15.00 Uhr beginnen. Die erste gemeinsame Streife hätte mit der Öffnung der Grenze um 12.00 Uhr aufbrechen sollen, die kroatische Polizei hatte jedoch rechtliche Vorbehalte angemeldet.
Der geplante Beginn der gemeinsamen Polizeipatrouillen wurde von kroatischer Seite zunächst boykottiert. Nach Angaben der europäischen Polizei in Mostar konnte aber auch am Nachmittag der geplante gemeinsame Patrouillengang mit den Polizeistreifen von Muslimen, Kroaten und Polizisten der Europäischen Union (EU) nicht begonnen werden. Die Patrouillen waren ebenso wie die Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit in Rom vereinbart worden.
Der bosnische Präsident Alija Izetbegović hatte am Montag von einem „letzten Test“ für das Funktionieren der kroatisch-moslemischen Föderation in Bosnien gesprochen. Dieser Test dürfte nun mißlungen sein. In Rom war auch vereinbart worden, den gemeinsamen Zentralbezirk gegenüber dem ursprünglichen Plan des EU-Verwalters Hans Koschnick zu verkleinern.
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