: Großes Mißtrauen in Mostar
Die Vereinigung der Stadt scheitert vorerst an den Schüssen kroatischer Extremisten. Die gemeinsamen Patrouillen der Polizei fanden nicht statt ■ Aus Mostar Erich Rathfelder
Kaum war die Stadt offen, war sie auch schon wieder zu. Der Schlagbaum zwischen Ost- und Westmostar, der um Punkt 12.00 Uhr geöffnet worden war, schloß sich wieder, nachdem kroatische Extremisten Schüsse auf ein Zastava- Auto aus Ostmostar abgefeuert hatten und vier Muslime von der kroatischen Polizei verhaftet worden waren. Nach den Zwischenfällen sperrte die kroatische Polizei den Verkehr von Westmostar aus in Richtung der Tito-Brücke und damit nach Ostmostar wieder ab.
Eine Gruppe muslimischer Jugendlicher blieb nach den Schüssen, die um 12.30 Uhr gefallen waren, auf dem Platz stehen, umgeben von Polizei aus Sarajevo. Die Jugendlichen hißten eine grüne Flagge mit weißen Halbmond, die Flagge der Muslime, auf dem Platz. Gegenüber zogen nach Angaben von Polizisten aus Sarajevo drei kroatische Scharfschützen am Gymnasium auf, das den Platz abschließt.
Damit schien gestern nachmittag das Experiment, das auf der Bosnienkonferenz am Wochenende in Rom beschlossen worden war, vorerst gescheitert, nämlich die Wiedervereinigung der herzegowinischen Gebietshauptstadt. Schon einige Minuten vor 12 Uhr hatten sich Hunderte von Ostmostarern am Schlagbaum versammelt. Punkt 12 Uhr gingen sie auf den Schlagbaum zu. Auch Männer im wehrfähigen Alter waren darunter, die bisher nicht in den anderen Teil der Stadt wechseln durften. Polizisten der kroatischen Westseite kontrollierten die Ausweispapiere und ließen die Menschen dann passieren. Nach 20 Metern blieben die meisten wieder stehen und gingen durch den Schlagbaum zurück.
Ein Provokateur, mit einer Faschingsmaske verkleidet, stachelte umstehende Kroaten auf. Einem Autofahrer aus Zagreb rief er zu: „Seht, wie hier die Kroaten behandelt werden, jetzt kommen schon die Baljes rüber“ (Schimpfname für Muslime).
„Es ist eine Demonstration“, sagt dagegen eine ältere Frau, die von Ost- nach Westmostar ziehen will. Die ehemalige Lehrerin deutet auf die Trümmer ihres Hauses, das in der Nähe des Spanischen Platzes gestanden hat. Ihr Grundstück war im Krieg Frontlinie. „Warum ist dies nur geschehen?“ fragt sie. „Ich bin kosmopolitisch, mich stört nicht die Nationalität der anderen, diese Nationalisten sind Nazis, sind Faschisten!“ empört sie sich. Als die Schüsse aufpeitschen, wirft sie noch eine Kußhand hinterher und verschwindet zwischen den Trümmern einer Häuserzeile.
Die Jugendlichen aus dem Ostteil der Stadt rennen in Richtung Spanischer Platz. Die vier hier auf Beobachtungsposten stehenden Ifor-Soldaten rühren sich nicht. Hinter einer Hausruine stehen kroatische Männer in Zivil, ihrem Habitus nach ehemalige Kämpfer der kroatisch-bosnischen Armee HVO. Aus dieser Richtung kamen die Schüsse. Im Ostteil der Stadt kocht die Volksseele. Jugendliche stürmen in das Studio von Radio Mostar und berichten über die Vorfälle. Eine Gruppe von Jugendlichen versammelt sich an der Straße, die von Zentralmostar zur Tito-Brücke führt. Als ein Auto aus dem kroatisch dominierten Kiseljak erscheint, bringen sie es zum Halt und bedrohen die Insassen.
Schon vor den Ereignissen hatte es Anzeichen für Spannungen gegeben. Denn die 100 Polizisten aus Kroatien, die zusammen mit 100 Polizisten aus Sarajevo gemeinsame Streifen fahren sollten, waren nicht im Gebäude der Polizei der Westeuropäischen Union erschienen. Howard Fox, der Sprecher der europäischen Polizisten, wollte jedoch Gerüchte nicht bestätigen, denen zufolge die kroatischen Polizisten bewußt nicht erschienen waren. Doch: „Der Befehl an die kroatischen Polizisten wurde nicht erteilt.“
Die Öffnung der Stadt war bei dem Treffen der Präsidenten Serbiens, Kroatiens und Bosniens am Wochende in Rom beschlossen worden. Um der kroatischen Seite entgegenzukommen, war der Koschnick-Plan dahingehend abgeändert worden, den siebten, von beiden Seiten zu verwaltenden Bezirk, zu verkleinern. So wurde ein moderner Wohnkomplex, der früher vor allem von Serben bewohnt war, den kroatischen Stadtbezirken zugeschlagen. Inzwischen wohnen kroatische Flüchtlinge in diesen Wohnblocks. Ein Teil dieser Flüchtlinge war am 7. Februar zur Demonstration gegen Koschnick mobilisiert worden.
Aus Protest wegen dieser Änderungen war der Bürgermeiter des Ostteils der Stadt, Safet Orućević, noch am Montag abend zurückgetreten. Seine Demission ist jedoch vom bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović nicht hingenommen worden. Auf westlicher Seite hat es wegen der Beschlüsse von Rom keine Konsequenzen gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen