■ Wenn ungeahnte Energien frei werden: Fast 'n' Wandern
Fastenwandern – aber richtig. Denn Fastenwandern ist Vertrauenssache. Da gibt es Veranstalter, die betreiben ihr unmenschliches Fastenwandergeschäft ohne Rücksicht auf Verluste. Frühmorgens raus, dann unter der Aufsicht von „Fastensheriffs“ durch den gnadenlosen Wald gewandert. Wenn unterwegs ein Fastenwanderer zusammenbricht, ist kein Arzt in der Nähe. An Ort und Stelle werden die Opfer verscharrt, beziehungsweise beim Fastensegeln dem Meer übergeben. Abends, in der kahlen Unterkunft, herrscht mörderische Kälte.
Auch menschlich: Zur allgemeinen Erbauung werden höchstens Steuererklärungen verlesen, wenn überhaupt jemand mal was vorliest. Sonst muß man sich den Lesestoff selbst mitbringen. Nein, das ist nicht nach dem Geschmack eines wahren Fastenwanderers und auch nicht nach dem der Fastenwandererin.
Frau Hermann, Frau Pettersson und Frau Vogel aus Hamburg kennen sich da aus. Sie haben sich auf einer Fastenveranstaltung kennengelernt. Jetzt organisieren sie selbst. Seit zwei Jahren wollen sie dem Fastenwandern etwas von seinem Schrecken nehmen, ihm ein menschliches Antlitz verleihen. Also gründeten sie „Bumerang Fastenwandern“. „Bumerang Fastenwandern“ bedeutet nicht etwa, daß zwanzig Kilo hinfortgeschleudert werden, die dann am Himmel eine elliptische Bahn ziehen und flugs zum Körper des/der FastenwandererIn zurückkehren. „Bumerang Fastenwandern“ ist anders, denn „Bumerang Fastenwandern“ lädt Männer und Frauen zu einer Woche Entspannung ein, zu Bewegung und Muße. „Bumerang“-Fasten steht dabei für die Idee, „durch gezielten Anstoß das ausgesandte Objekt – nämlich sich selbst – wieder in die Hand zu bekommen“.
Ein Gespräch mit der Agentur Bumerang gibt wertvolle Auskünfte über das Fastenwandern allgemein und speziell: Den körperlichen Aspekt darf man beim Fastenwandern natürlich nicht vergessen. Erstens wird gefastet, zweitens gewandert – und ab dem dritten Tag haben Sie ungeahnte Energien, die Sie dann auch freisetzen. Abends ist bei „Bumerang“ ein kuscheliges Nest geboten, in das man sich zurückziehen kann. Zum Essen gibt es Gemüsebrühe, aus der das Gemüse vorher sorgsam entfernt wurde. Es entstammt garantiert biologischem Anbau. Nach dem harten „Bumerang“-Fastentag erzählt eine aus dem fidelen Dreiergespann Märchen, welche die Gebrüder Grimm gesammelt haben. Ist das nun ein Märchen, das den Gebrüdern von einer Frau oder einem Mann ins Ohr gesummt worden ist? Die Diskussion darüber, auch die feministische Interpretation, schafft Einsichten. Wenn Erwachsene über Märchen diskutieren, dann gehen sie aus sich heraus.
In Graal-Müritz, einem Ort auf der „Bumerang“-Fastenkarte, werden auch Kafka und Kästner bei den abendlichen Lesungen dabei sein, denn die haben auch Märchen geschrieben. Kaum einer weiß das. Außerdem haben die in der Gegend auch schon gekurt. So entsteht ein wunderbarer Dreiklang aus Fasten, Wandern und Märcheninterpretation. Und nach drei Tagen hat ist da eine völlig veränderte Gruppe. Anfangs spielt jeder noch eine Rolle. Nach drei Tagen ist es damit vorbei. Dann werden ungeahnte Energien frei. Ein Arzt ist ständig in der Nähe. Gott sei Dank.
Ach ja: Wer nicht auf Gemüsebrühe steht, muß bis nächstes Jahr warten. Dann gibt es „Bumerang ad libitum“ für solche, die weniger fasten und mehr wandern wollen. Stefan Kuzmany
Weiterte Informationen bei Karin Herrmann, Telefon und Fax (040) 5317165
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