: Kreditfrühling in Moskau
Der Internationale Währungsfonds gewährt Rußland einen Kredit von 10,2 Milliarden Dollar. Jelzin freut sich auf die Wahlhilfe ■ Aus Moskau Barabara Kerneck
Schon haben sich die MoskauerInnen daran gewöhnt, daß jährlich noch vor den Staren und Klapperstörchen Michel Camdessus, der Direktor des Internationalen Weltwährungsfonds, auf ihre Stadt hinabgeschwebt. Darauf folgt die jährliche Schlacht um den nächsten IWF-Kredit. Schon am Mittwoch, zu Beginn des diesmal fünftägigen Rituals, verkündete die Regierung der Russischen Föderation ihren Sieg: 10,2 Milliarden Dollar bekommt das Land in den nächsten drei Jahren – niemals sah die Welt einen strahlenderen Ministerpräsidenten Tschernomyrdin.
Die ersten vier Milliarden Dollar erhält Rußland schon Mitte April. Präsident Jelzin ließ keinen Zweifel aufkommen: Für ihn wird der Kredit zur willkommenen Unterstützung bei den Präsidenten- wahlen im Juni. Den naheliegenden Vorwurf der Parteilichkeit wies der IWF-Direktor weit von sich. Die Unterstützung eines Landes wie Rußland, sagte Camdessus, sei „moralische Pflicht“. Der IWF werde seine Zahlungen auch nicht von einem Machtwechsel abhängig machen. Nur: „Bei Nichterfüllung der vereinbarten Bedingungen allerdings, werden wir unsere Hilfe einstellen.“
Moskau braucht deswegen nicht jede Ausgabe einzeln zu belegen, aber die laufenden Überweisungen sind an gewisse Rahmenbedingungen und sichtbare Resultate gebunden. Was in dieser Hinsicht zumutbar ist, darüber wurde hart gerungen. Die Reformen des Bankwesens und des Steuersystems, die letztes Jahr begannen, werden fortgesetzt. Damit war Rußland schnell einverstanden. Sehr viel schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen über die Abschaffung der russischen Erdöl- und Erdgas-Exporttarife. Das einträgliche Instrument wurde von bestechlichen Beamten willkürlich gehandhabt und widersprach ohnehin den marktwirtschaftlichen Vorstellungen des IWF. Moskau mußte schließlich nachgeben: Am 15. März wird der Exporttarif für Gas aufgehoben, am 1. Juli der für Erdöl. Statt dessen wird eine Erdöl- und -gasakzise erhoben, auch eine Art Steuer, diesmal aber ohne Ansehen der Firma und ungeachtet dessen, ob sie sich mit Export beschäftigt oder nicht.
Anstrengen müssen wird sich die Moskauer Regierung, diese und andere Steuern auch wirklich einzutreiben. Sie hat sich für den neuen Kredit verpflichten müssen, ihr Haushaltsdefizit 1996 auf vier Prozent und jedes weitere Jahr um ein weiteres Prozent zu senken. Die Rubelinflationsrate soll schon Ende 1996 nur noch ein Prozent betragen und das Bruttosozialprodukt jährlich steigen, ab 1997 um sagenhafte sechs Prozent.
Und wenn Rußland den Kredit nicht bekommen hätte? Die IWF- Dollars sind mehr als bloßes Geld, halten Fachleute allen russischen Patrioten vor, die meinen, ganz gut ohne auskommen können. Noch in diesem Frühjahr stehen Verhandlungen mit dem Pariser Klub über die von der UdSSR ererbten Auslandsschulden bevor. Das sind 16 Milliarden Dollar. Hätte Tschernomyrdin nicht das Vertrauen des IWF erworben, wäre die Abneigung des Pariser Klubs gegen eine weitere Stundung noch größer. Etwa anderthalb Milliarden Dollar hofft Moskau im nächsten halben Jahr durch den Verkauf von Staatsanleihen an ausländische Investoren einzunehmen. Auch die hätten sich im Falle eines IWF- Rückziehers die Sache zweimal überlegt. Dasselbe gilt für die geplante Ausgabe von Euro-Bonds über zwei Milliarden Dollar: Ohne Einigung mit dem IWF stünde Rußland um über dreißig Milliarden Dollar ärmer da.
Mit solchen Zahlenspielen lassen sich denn auch die Vorwürfe widerlegen, der IWF habe im letzten Jahr mit seinem Kredit von 6,5 Milliarden Dollar nur den Tschetschenien-Krieg finanziert. Was Michel Camdessus betrifft, so erklärte er in Moskau, der Krieg reiche „als Ursache nicht aus, um der russischen Wirtschaft die Unterstützung zu versagen“. „Gott behüte uns“, kommentierte die Tageszeitung Segodnja, „vor Ursachen, die ausreichen.“
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