■ Pseudodebatte über einen obligatorischen Zivildienst
: Militärrevolution

Was Frankreichs Präsident Jacques Chirac angekündigt hat, ist eine echte Militärrevolution. In deren Mittelpunkt steht die totale Professionalisierung der Armee und das Ende der Wehrpflicht, die seit 1905 in Kraft ist. Sie war eingeführt worden, nachdem Frankreich die demütigende Niederlage von 1870 erlitten hatte – gegen einen preußischen Feind, dessen militärische Stärke auf einer soliden und gut organisierten Wehrpflicht beruhte.

Der Militärdienst in Frankreich hat schon seit Jahren seine Berechtigung verloren. Er ist kein Schmelztiegel der Republik mehr, in dem sich alle Klassen der Gesellschaft vermischen. Und er muß auch nicht mehr die Aufgabe wahrnehmen, eine Offizierskaste mit putschistischen Gelüsten demokratisch zu kontrollieren. Seit dem Putsch vom April 1961, der von Wehrpflichtigen aufgehalten wurde, die sich weigerten, den Befehlen der Verräter zu folgen, ist die Armee definitiv in Reih und Glied zurückgekehrt. Seit 35 Jahren hat sie keine Anwandlungen mehr in dieser Richtung gezeigt.

Der Schritt hin zu einer Berufsarmee ist in Frankreich auch gar nicht umstritten: 70 Prozent der Bevölkerung ist damit einverstanden. Doch Jacques Chirac hat der Reform einen kuriosen Zusatz verliehen, indem er eine große nationale Debatte über einen neuen Zivildienst ankündigte. Sie soll die Frage beantworten, ob ein neuer Zivildienst eingeführt werden soll, der alle jungen Leute verpflichtet, sechs Monate lang im kollektiven Interesse zu arbeiten – in den Sozialdiensten, in der internationalen Zusammenarbeit, bei der Feuerwehr oder der Polizei. Sollte das Parlament gegen diese Idee stimmen – und danach sieht es aus –, würde daraus ein freiwilliger Dienst.

Es ist schwer zu sagen, warum der Präsident sich in dieses Unternehmen gestürzt hat, das leicht zu einer Pseudodebatte führen könnte. Am Anfang hatte er in dieser Frage rechte gewagte Ansichten. Er ging so weit, selbst junge Frauen zu einem sechsmonatigen unbezahlten Freiwilligendienst verpflichten zu wollen. Darauf hat er verzichtet, aber nicht auf die Debatte über den obligatorischen Zivildienst. Jacques Chirac könnte beschuldigt werden, die Zwangsarbeit einführen zu wollen oder zu den unheilvollen Chantiers de Jeunesse, den Jugendbauhöfen des Marschall Pétain im Zweiten Weltkrieg, zurückzukehren.

Es gibt also genug Gründe, weshalb das moderne Frankreich einen obligatorischen Zivildienst nicht akzeptieren wird. Es wird statt dessen eine Berufsarmee haben und seiner Jugend mehr Zeit lassen. Mehr Zeit für die Berufsausbildung und das Studium. Jean Guisnel

Der Autor ist Militärexperte des französischen Nachrichtenmagazins „Le Point“