■ Der bevorstehende Europa-Asien-Gipfel in Bangkok beleuchtet die Krise der deutschen Provinzialität: Blinde Weltmeister
Kein Zweifel, die Krise des Bremer Werften- und Schiffselektronik-Verbundes Vulkan hat allen zugesetzt. Wenn die größten Unternehmen des Landes so offen in ihr Verderben rennen, wo soll dann der Rest der Wirtschaft bleiben?
Doch vom Selbstmitleid zur Selbstgerechtigkeit ist es oft kein weiter Weg. In Bremen hegt bis heute niemand Zweifel daran, daß in der Hansestadt die besten Schiffe der Welt gebaut werden. Schon als der größte deutsche Industriekonzern, Daimler Benz, Zehntausende von Mitarbeitern entlassen mußte, wollten viele nicht glauben, daß dies etwas mit der Qualität deutscher Wertarbeit zu tun habe. Auch in Stuttgart und Wolfsburg ist man ungeachtet aller globalen Trends weiterhin überzeugt, die Deutschen bauten die besten Autos der Welt und würden auf den Weltmärkten nur schlecht behandelt.
Das gleiche Maß an Selbstüberschätzung regiert in Bonn: Bundeskanzler Helmut Kohl läßt keine Chance verstreichen, die Deutschen als „Exportweltmeister“ zu preisen. Tatsächlich geben ihm die Statistiken recht: Noch immer liegt die Exportquote in der Bundesrepublik Deutschland höher als in jedem vergleichbaren Industrieland. Nicht einmal Japan kann da auch nur annähernd mithalten.
Und doch spricht aus dem typisch deutschen Verlangen, ständig Weltmeister sein zu wollen, ein falsches Bewußtsein: Denn was im Fußball nicht gelingen kann, klappt erst recht nicht in der Wirtschaft. Da kommt es heute eben vor, daß die Koreaner bisweilen bessere Schiffe und die Japaner in manchen Sparten bessere Autos bauen. Für die Welt an sich ist das ein Glück. Denn seit sich der technologische, wirtschaftliche und soziale Fortschritt zwischen Bremen und Bangkok, Düsseldorf und Djakarta zunehmend gleichmäßiger verteilt, ist vom westlichen Imperialismus – zumindest in Asien – keine Rede mehr.
Es geht gar nicht darum, Minderwertigkeitskomplexe zu züchten. Bei Gelegenheit werden auch die Deutschen wieder die Besseren sein. Unser Problem aber ist vorerst ein ganz anderes: Die Kanzler-Utopie, ewiger Exportweltmeister sein zu können, hat uns gegenüber den Herausforderungen der Globalisierung blind gemacht.
Den Deutschen geht es heute ein wenig wie den Franzosen, die sich immer noch als „Grande Nation“ feiern, obwohl ihnen der Weltmachtstatus längst abhanden gekommen ist. So reagieren wir mit beleidigten Vorwürfen an andere Nationen, wenn diese uns den wirtschaftlichen Rang ablaufen. Vor einigen Jahren hieß unser Sündenbock Japan. Alle JapanerInnen waren Workaholics, alle japanischen Unternehmen üble Verdrängungswettbewerber. Obwohl die Lebenserwartung in Japan höher liegt als in jedem anderen Land der Welt, dachten wir, den üblichen japanischen Firmenmanager erwische spätestens mit fünfzig Jahren der Erschöpfungstod am Arbeitsplatz.
Erst die japanische Wirtschaftskrise der letzten Jahre öffnete einigen die Augen. Heute entdecken deutsche Gewerkschafter ihr Interesse an japanischer Betriebspolitik, weil dort die großen Konzerne, anders als in der Bundesrepublik, auch nach fünf Jahren Rezession noch keine Massenentlassungen vorgenommen haben.
Statt der JapanerInnen sind es nun ChinesInnen, KoreanerInnen und MalaysierInnen – und vielleicht bald auch VietnamesInnen –, die hierzulande Schrecken verbreiten: Sozial-Dumping, Mißachtung der Menschenwürde, unlautere Wettbewerbspraktiken – wieder gibt es vieles, was man an den neuen Konkurrenten aus dem fernen Osten auszusetzen hat. Doch diese Kritik fällt uns heute nur ein, weil wir uns bedroht fühlen.
Wir ahnen, daß es den deutschen Sozialstaat und das deutsche Mitbestimmungsrecht so nicht noch einmal auf der Welt gibt – und viel schlimmer! – sich niemand an uns in Deutschland ein Beispiel nimmt.
Politiker, Manager und Gewerkschafter haben deshalb einen gemeinsamen Abwehrmechanismus entwickelt. Weil sie Deutschlands Rolle als Gesellschaftsmodell und Exportweltmeister nicht in Frage stellen wollen, werfen sie ihren ost- und südostasiatischen Gegenspielern Regelverletzungen vor, wo auch immer die sich als stärker erweisen. Die Konsequenz ist fatal: Denn das Reaktionsschema der Meinungsführer macht die Republik gegen Selbstkritik und Systemveränderungen immun. Daß es ohne beides in Deutschland nicht so weiter geht wie bisher, sollte jedem klar sein, der in diesen Tagen auf das historische Zusammentreffen der europäischen und asiatischen Staatschefs in der thailändischen Hauptstadt Bangkok blickt.
Die Botschaft dieses Gipfels ist simpel: Annähernd zwei Milliarden Asiaten – so viele werden in Bangkok durch ihre Regierungen repräsentiert sein – treten vor unseren Augen in die Weltgeschichte ein. Der Modebegriff der Globalisierung bekommt dadurch erst einen Sinn: Im wahrsten Sinne global denken wir erst, seit Asien auch das Wachstumstempo bei uns in Europa diktiert.
Vielleicht fällt es dem einen oder anderen nun auf, daß sich Deutsche und Europäer heute in eine ganz neue Weltliga der Nationen einzuordnen haben.
Was sich mit Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor vierzig Jahren vollzog, geschieht jetzt noch einmal im Weltmaßstab: Notgedrungen relativiert sich die Stellung der Deutschen in der Welt. Die Republik, gerade erst vereinigt, wird wieder kleiner.
Dieses Einsehen fällt vor allem dem Bundeskanzler schwer: Helmut Kohls provinzielle Neigung, seine eigene Rolle und die der Nation zu überschätzen, sorgt für jenes überhöhte Selbstbewußtsein, das in Bremen und Stuttgart in letzter Konsequenz Zehntausende ihre Arbeitsplätze kostet.
Doch auch den Sozialdemokraten und den Bündnisgrünen fällt die Erkenntnis nicht leicht, daß Globalisierung von unten zu denken nicht nur bedeutet, in Asien die Wahrung der Menschenrechte sowie höhere Sozialstandards einzufordern. Denn die einfachste Weltpolitik von unten wäre zunächst, einem Fünftel der Menschheit oder 1,2 Milliarden ChinesInnen den Eintritt in die Welthandelsorganisation WTO zu ermöglichen, aus der sie bisher vor allem wegen des Drucks aus Washington noch ausgeschlossen sind.
Allein dieser Schritt aber könnte in Europa eines Tages Revolutionen auslösen, wenn die Bereitschaft zur Partnerschaft mit Asien nicht schon heute wächst. Georg Blume, Tokio
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