: Verstreute Inseln der Solidarität
■ In den großen Runden zum Bündnis für Arbeit wird erfolglos gequatscht. Vor Ort greifen einige Belegschaften zur Selbsthilfe, um Jobs zu retten oder gar neue zu schaffen. Das bedeutet knallharten Lohnverzi
Verstreute Inseln der Solidarität
„Bündnis für Arbeit?“ Nun ja. Jana Mittmann, Kassiererin in der Werkskantine im brandenburgischen Kraftwerk Jänschwalde, hat mit dem Schlagwort eigentlich nichts am Häubchen. Aber daß jeder fünfte in ihrem Küchenteam entlassen werden sollte, „das hat uns geschockt“, erzählt die 26jährige. Die KollegInnen fanden einen Ausweg: Sie beschlossen, Arbeitszeit und damit Einkommen kollektiv zu vermindern. Keiner mußte gehen.
Der gemeinsame Verzicht des Kantinenteams ist ein Beispiel für kleine Beschäftigungsbündnisse, wie sie vor Ort schon geschlossen werden. Beschäftigte verkürzen, verteilen Arbeit neu und verzichten auf Einkommen – um Jobs zu retten und mitunter sogar neue zu schaffen. Ein besonders selbstloses Modell der Solidarität ersann jetzt die Nordelbische Kirche in Hamburg und Schleswig-Holstein. „Da sind wir auch stolz drauf“, sagt deren Sprecher Ocke Peters. Das sogenannte Senior-Junior-Modell öffnet jungen Pastoren nach der Ausbildung den Berufseinstieg. Das Prinzip: Der Senior, also ein älterer Pastor, verzichtet auf ein Sechstel seines Gehalts. Mit dem Geld, mit weiteren Spenden aus einem Fonds „Pastoren helfen Pastoren“ und Mitteln der Kirche wird die ebenfalls reduzierte Stelle für den Jüngeren geschaffen. Nach fünf Jahren Job-sharing verabschiedet sich der Senior endgültig in den Ruhestand.
Die Angst um den Job begünstigt neue Wege
In der Region um Kiel teilen sich nach diesem Modell schon zwei Paare die Arbeit. In der Gemeinde Kronshagen zieht Junior Bernd- Michael Haese jetzt ins Pfarrhaus ein. Der Junior predigt, tauft und beerdigt die Gemeindemitglieder. Senior Klaus Onnasch kann sich jetzt mehr um die Sozialdienste, das Kinderhaus und die Flüchtlingsarbeit kümmern. Das bedeutet weniger Streß für ihn, aber auch weniger Geld: Auf 900 Mark im Monat muß Onnasch (früheres Monatsgehalt: rund 4.500 netto) verzichten. Demnächst, hofft der Pastor, werden 30 Paare in der Region das christliche Job-sharing praktizieren. 160 frischgebackene Pastoren drängen dort in den nächsten Jahren auf kirchliche Stellen. „Deswegen ist es höchst wichtig, hier Solidarität zu entwickeln“, meint Onnasch.
Eng mit den Jobs wird es auch anderswo. Kollektive Arbeitszeitverkürzung kann da die Rettung sein. Doch das erfordert Einsicht. Am ehesten funktioniere der Verzicht dort, „wo eine breite Betroffenheit da ist“, erklärt Wilfried Schreck, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Veag, zu der auch das Kraftwerk Jänschwalde gehört. Im Kraftwerk gibt es mehr Personal als Arbeit. „Wir wollen aber möglichst jeden behalten“, hat sich Schreck zur Aufgabe gemacht. Er will bei den mehr als 900 SchichtarbeiterInnen durchsetzen, daß demnächst nicht mehr 39, sondern nur noch 35 Stunden in der Woche geackert wird. Das bedeutet weniger Geld für jeden. Wer sich ohnehin für unersetzbar halte, murre natürlich, so Schreck. Aber die meisten lockt der neue Kündigungsschutz. „Da nimmt man die Einkommenseinbußen in Kauf“, sagt Bernd Töpfer, Facharbeiter bei der Wasseraufbereitung. Noch in diesem Jahr soll die Verkürzung kommen.
Mit der Gefahr, den Job zu verlieren, wächst die Bereitschaft zu kollektiven Lösungen. So auch in vielen westdeutschen Metallbetrieben: Dort können Betriebe die Arbeitszeit von 35 auf bis zu 30 Stunden reduzieren, meist gibt es einen teilweisen Lohnausgleich. Im norddeutschen IG-Metall-Bezirk Küste schubberten Ende vergangenen Jahres 18.000 Beschäftigte solcherart auf Sparflamme. „Das sicherte 2.900 Jobs“, schätzt Hartmut Schulz, IG-Metall-Tarifsekretär im Bezirk.
Während die Metall-Tarifpartner in den Regionen bisher erfolglos über den Abbau von Überstunden streiten, sind viele Betriebe schon vorgeprescht. Zuletzt vereinbarte die Postgewerkschaft mit der Postbank, Überstunden generell nur noch in Freizeit auszugleichen. Die IG Metall Hannover kann sogar für eine Minibranche schon einen einschlägigen Tarifvertrag vorweisen. Für 6.000 Beschäftigte der Feinstblech-Packungsindustrie hat sie einen Tarifvertrag abgeschlossen, der Freizeitausgleich ab der ersten Überstunde vorschreibt. Nur selten entstehen durch solche Regelungen neue Stellen. Meist werden nur bestehende Jobs gerettet oder der Personalabbau verlangsamt. Vor allem im Osten.
Dort haben 6.200 brandenburger GrundschullehrerInnen erst kürzlich Arbeitsverträge unterschrieben, nach denen ihre Unterrichtszeit bei Bedarf von derzeit 27 auf bis zu 16 Stunden verkürzt werden kann. Ohne Lohnausgleich. Das bedeutet für den einzelnen ein paar hundert Mark weniger im Monat, dafür genießen die LehrerInnen Kündigungsschutz. Damit werde von den Lehrern ein Bündnis für Arbeit praktiziert, schwärmt die brandenburgische Bildungsministerin Angelika Peter (SPD). Günther Fuchs, GEW- Chef in Brandenburg, hält dagegen „nichts von pathetischen Floskeln“. Die neue Vereinbarung sei eine schlichte „Notwendigkeit“.
In Brandenburg waren es die dramatisch sinkenden Schülerzahlen, die Gewerkschaft und Bildungsministerin an den Tisch brachten. Sonst hätten Tausende von LehrerInnen ihren Job verloren. „Die Beschäftigungssicherung haben sich die Pädagogen durch den Lohnverzicht selbst erkauft“, stellt Fuchs klar.
So war es auch bei den rund 12.000 ErzieherInnen in Kindertagesstätten im Osten, die gemäß einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag ihre Arbeitszeit verringerten. „Damit wurden 1.200 Entlassungen verhindert“, schätzt ÖTV-Tarifsekretär Jürgen Schneider.
Im Osten gibt es die radikalsten Bündnisse
Immerhin bekamen die Frauen einen teilweisen Lohnausgleich. Die ÖTV überlegt jetzt auch im Westen, ob entsprechende Öffnungsklauseln vereinbart werden. In hochverschuldeten westdeutschen Kommunen wie beispielsweise Bremen oder Berlin droht radikaler Personalabbau. Bündnisse mit dem Rücken zur Wand – in der extremsten Form wird damit nicht mal Arbeitszeit verkürzt, sondern schlicht auf Lohn verzichtet. Der Osten macht es vor. „Da gibt es radikalere Vereinbarungen, als man öffentlich wahrnimmt“, berichtet Bodo Ramelow, Vorsitzender der HBV in Thüringen.
Für die Läden im Konsum Thüringen-Ost und Konsum Thüringen-Süd mit ehemals 1.600 Beschäftigten wirkte die HBV an Haustarifverträgen mit. Die Bedingung: Statt des durchschnittlichen Lohns laut Flächentarifvertrag von 2.900 Mark brutto bekommen die Konsum-Verkäuferinnen nur 2.350 Mark im Monat. Damit werden Jobs gesichert. Die VerkäuferInnen können allerdings dennoch entlassen werden. Die Geschäftsleitung muß ihnen dann jedoch sechs Monate vor dem Rausschmiß das Gehalt gemäß Tarifvertrag zahlen. Das ergibt dann ein höheres Arbeitslosengeld.
Angesichts der bitteren Realität hält Ramelow die Bonner Diskussion um ein Bündnis für Arbeit denn auch schlichtweg für eine „Verarschung“. Den Beschäftigten nütze sie nichts. Im Gegenteil. „Seitdem die dort über ein Bündnis debattieren, wurde der Sozialabbau nur beschleunigt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen