Preisrätsel Billigreisen

Sicherheit hat keinen Preis. In der Pauschalreise wird sie oft nicht gerechnet. Der Absturz der Chartermaschine von Birgenair läßt tief blicken in die finsteren Geschäfte des boomenden Markts mit den Billigangeboten  ■ Von Christine Plüss

Der Schrecken sitzt, hat man doch selbst mit Billigferien in der Karibik geliebäugelt. Hunderte von verunsicherten Reisewilligen bestürmen die Luftfahrtbehörde, um ihr Auskünfte über zweifelhafte Flugcarriers zu entlocken. Längst bevor die Flugschreiber der verunglückten türkischen Chartermaschine Aufschluß über die Absturzursachen geben konnten, haben Fachleute und Branchenkonkurrenz die Schuldigen zur Hand: Die „Exoten“, die Preisdrücker auf dem Flugreisemarkt, die Billiganbieter, die mit ihren schlecht gewarteten Maschinen und ihren „müden Piloten“ nichtsahnende Urlaubsgäste in den Tod fliegen.

Mehr noch: Die fliegenden „Dreckschleudern“ und „Schrotthaufen“ aus den ärmeren Ländern dieser Welt drohen auch am Himmel über uns. Lautstark werden härtere Sicherheitsvorschriften und Mindeststandards von Behörden und PolitikerInnen eingefordert. Unter Beschuß geraten auch die Billiganbieter auf dem Reisemarkt; im Zusammenhang mit dem Absturz der türkischen Birgenair-Maschine besonders diejenigen, die sich mit der ausländischen Konkurrenz verbandeln. Wer in der Branche Rang und Namen haben will, pocht eilfertig auf Seriosität und Qualität und distanziert sich energisch von Leistungsträgern wie Birgenair. Zu schnell, wie sich etwa bei Hetzel-Reisen herausstellte: Der Stuttgarter Reiseveranstalter beförderte – entgegen ersten Beteuerungen – seine Kundschaft auch auf Birgenair- Flügen, weil der Hetzel-Vertragspartner Condor die türkische Chartergesellschaft als Subunternehmen gechartert hatte.

Schuldzuweisung als Ablenkungsmanöver

Die Flugkatastrophe, die 176 deutsche Ferienreisende und 13 türkische Besatzungsmitglieder das Leben gekostet hat, bringt auf tragische Weise die Billigreisen aufs Tapet. Seit Jahren sind die Preise im heißumkämpften Reisemarkt zusammengeschmolzen. Die Freude über die kurzfristigen Preisvorteile hat die KonsumentInnen über allfällige Sicherheitsrisiken und andere verdeckte Unkosten hinwegsehen lassen. Daß sich die Preisspirale im milliardenschweren Reisegeschäft kontinuierlich nach unten dreht, ist mit Sicherheit nicht allein einigen grob fahrlässigen Unternehmen aus dem Ausland zuzuschreiben.

Der Ruf nach protektionistischen Schutzmaßnahmen und die fremdenfeindlichen Untertöne aus den Kreisen, die ihr Geschäft mit dem Fernweh und der grenzenlosen Freiheit machen, lassen aufhorchen. Sollen die vorschnellen Schuldzuweisungen von der unbequemen Tatsache ablenken, daß die Preisdrückerei auch hausgemacht ist und ihre fatalen Folgen unübersehbar geworden sind?

Wundersame Flugpreisberechnung

Es ist längst kein Geheimnis mehr, daß bei Personal und Wartung der Flugzeuge vieler Gesellschaften verhängnisvolle Abstriche gemacht und dabei Sicherheitsrisiken in Kauf genommen werden. Viele Airlines, ob privat oder staatlich, könnten im mörderischen Preiskampf am Himmel sonst nicht mehr mithalten. Ob strengere Schutz- und Zulassungsvorschriften angesichts des enormen wirtschaftlichen Drucks im Flugverkehr überhaupt greifen, ist fraglich. Die Liberalisierung der Luftfahrt hat bereits seit Jahren zu Überkapazitäten und riesigem Konkurrenzdruck geführt, was die Flugpreise in den Keller – unter die Gestehungskosten? – sinken ließ.

Trotzdem wird expandiert, weil nur über Wachstum die Marktstellung gehalten werden kann. Bis ins Jahr 2013 wollen Airlines weltweit 14.000 neue Jets ordern, oft finanziert mit Geldern von Rettungsaktionen, die Regierungen ihren nationalen Fluglinien verpassen. Denn so frei kommt der Preis für ein Flugticket auch auf dem freien Markt nicht zustande. Die begüterten Staaten vermögen ihren nationalen Flaggschiffen mit staatlichen Subventionen hohe technische Sicherheits- und Umweltstandards angedeihen zu lassen.

Unterdessen wehren sich andere Regierungen – der Tourismusminister von Kenia beispielsweise in einem Hearing der Welttourismusorganisation zum Gatt- Abkommen – gegen die Verschärfung von Sicherheits- und Umweltnormen im Bereich des Flugverkehrs, weil sie aus den ohnehin strapazierten Staatskassen nicht finanziert werden könnten. Da zudem kein Staat bislang Steuern oder Zölle auf Flugtreibstoff erhebt, kommen die Reisenden dank indirekter Subvention weiter zu ihren Billigflügen. In erster Linie auf Kosten der Umwelt. Doch die wird nie in Rechnung gestellt.

Das brancheneigene Preiskarussell

Die Flugkosten machen in der Regel den Hauptposten eines Reisearrangements aus. Doch längst nicht alle Anbieter greifen auf Fluggesellschaften mit schlecht gewartetem „Fuhrpark“ zurück. Um so mehr drängt sich die Frage auf, wie die letzten Knüller auf dem Billigreisemarkt überhaupt gerechnet werden: etwa zwei Wochen Bali für 1.200 Mark oder zehn Tage Peking für 1.050 Mark.

Auf der Jagd nach Marktanteilen lassen sich die Veranstalter nicht weiter in die Karten blicken, bei welchem Leistungsträger sie für das sensationelle Sonderangebot noch Zusätzliches herausschinden konnten. Wo das Verhältnis zwischen Entfernung und Preis dermaßen aus den Fugen gerät, handelt es sich auch um Produkte ausgeklügelter Mischrechnungen und Quersubventionierungen aus einträglicheren Produktsegmenten in den Flug- und Reiseunternehmen selbst. Die Kalkulation ist äußerst eng; bei gewissen Sonderangeboten genügen drei leere Flugsitze, so ein Branchenkenner, und der Verlust ist eingefahren.

Nicht wenige Unternehmen haben sich dabei bereits bös verkalkuliert, wie die immer länger werdende Liste der Konkurse auf dem hiesigen Reisemarkt bezeugt. Jammern über sinkende Margen und die Härte des Marktes hilft wenig, denn der Markt ist nicht einfach ein „Naturgesetz“. Mit Tiefpreis- Lockvögeln und laufend vorprogrammierten Überkapazitäten, die in letzter Sekunde zu Tiefstpreisen auf dem Markt verhökert werden, dreht die Reisebranche selbst Saison für Saison die Preisspirale noch eine Runde tiefer. Umsatzsteigerungen sollen die sinkenden Margen wettmachen, was das Überangebot weiter ankurbelt.

Abgespeckt wird etwa beim Zwischenhandel im Verkauf, oft zu Lasten der traditionellen Wiederverkäufer. Mit immer neuen Zusammenschlüssen versuchen die Großen ihre Marktposition auszubauen. So stieg Kuoni mit 33 Prozent bei der neuen Charterfirma „Edelweiß-Air“ ein, während sich die deutsche Liniengesellschaft mit „Lufthansa-Tours“ ein Stück vom wachstumsstarken Touristik-Kuchen sichern will. In Deutschland erzielen die wichtigsten 24 Zusammenschlüsse rund drei Viertel des Reisevermittlerumsatzes; vor fünf Jahren waren es erst zwei Fünftel gewesen.

Kostendruck nach unten weitergeben!

Behaupten kann sich nur, wer den Kostendruck auf die Nächstschwächeren abzuwälzen vermag. Viele Leistungsträger – Hotels, Transport- und Reiseunternehmen – in den Gastländern könnten von den immer härteren Vertragsverhandlungen ein Lied singen. Die Hoteliers im Tourismuskrisenland Kenia beispielsweise klagen, daß sie ihre Preise in den letzten drei Jahren nicht mehr erhöht hätten, sonst wären sie vollends auf ihren Betten sitzengeblieben. Ein schlecht verkauftes Bett bringt noch immer mehr als ein leeres.

Gespart wird bei Sanierungsarbeiten, meist auf Kosten der Umwelt, und beim Personal. In dieser arbeitsintensiven Dienstleistungsbranche können allerdings Arbeitskräfte nicht ohne massivere Einbußen im Service abgebaut werden. Da liegt die ungute Vermutung auf der Hand, Sparen gehe mit zunehmender Ausbeutung einher.

Trotz ruinösen Preisniveaus haben die Gastländer oft keine Wahl, setzen sie doch – meist auf Druck der internationalen Geldgeber wie Weltbank und Währungsfonds IWF – auf den Tourismus als Ausweg aus ihrer Verschuldungskrise. Weil immer neue Länder und Regionen in derselben Absicht mit vergleichbaren Strängen und Attraktionen auf den Tourismusmarkt drängen, sitzen die hiesigen Veranstalter bei den Vertragsverhandlungen eindeutig am längeren Hebel und können die Anbieter leicht gegeneinander ausspielen. Um attraktiv zu bleiben, müssen die Gastländer beträchtliche Summen in Infrastruktur und Werbung im Ausland stecken.

So soll Ägypten auf Anregung der Schweizer Touroperators mit einer 700.000 Franken (umgerechnet 854.000 Mark) schweren Werbekampagne den aufgrund der Attentate darniederliegenden Tourismus aus der Schweiz wieder in Schwung bringen. Zudem locken die Gastländer potentielle Investoren für Tourismusanlagen mit großzügigen Anreizen – Steuergeschenken, Investitionshilfen, neuen Flughäfen, Strom- und Wasserzufuhr. Das sind nicht nur substantielle Einkommensverluste. Aus Steuergeldern berappte Infrastrukturleistungen kommen kostspieligen Subventionen der Gastregionen an das Urlaubsvergnügen von westlichen Reisenden gleich.

Dem Touroperator kann es letztlich egal sein, wo ein Hotel liegt. Hauptsache, die eingekauften Betten und Flugsitze werden gewinnbringend verkauft. Der Reisekundschaft scheint es angesichts des immer unübersichtlicher werdenden Angebot-Dschungels egal zu sein, wo „ihr“ Strand liegt. Hauptsache, der Preis stimmt.

Trendwende ist längst überfällig

Der Trend zu Billigreisen mag den hiesigen KonsumentInnen entgegenkommen, denn bei stagnierenden oder gar schrumpfenden Durchschnittseinkommen könnten sich viele das Reisen – zumindest in exotische Gefilde – nicht mehr leisten. Die Freude darüber ist kurzfristiger Natur, denn der Preis für Reisen „stimmt“ schon lange nicht mehr. Das gilt nicht nur für schlechtinformierte Reisende, die auf abenteuerlichen Fluglinien befördert und mit Extras unterwegs noch zur Kasse gebeten werden. Reisen, nicht nur Billigreisen, sind so „preiswert“ für die EndverbraucherInnen, weil von verschiedener Seite kräftig mitfinanziert bzw. subventioniert wird. Der Absturz der Boeing 757 von Birgenair hat unvermittelt vor Augen geführt, welch hohen Preis TouristInnen im Bereich ihrer persönlichen Sicherheit in Kauf nehmen.

Gespart wird aber heute im Reisemarkt überall, wo es nicht so auffällt: auf dem Buckel der Menschen in den Gastregionen; und auf Kosten der Umwelt mit dem Verschleiß der oft knappen Ressourcen in den Ferienländern, aber auch der massiven Einwirkung auf das Weltklima, insbesondere durch Langstreckenflüge. Expandiert der Luftverkehr weiter wie in den vergangenen neun Jahren, wird er gemäß der Enquetekommission des deutschen Bundestages im Jahr 2000 zum Klimaschädling Nummer eins unter den Verkehrsträgern. Mit Ozonloch und Treibhauseffekt stehen enorme Sicherheitsrisiken für die Erdbevölkerung zur Diskussion.

Im Bereich des globalen Umweltschutzes – und nicht des fragwürdigen Schutzes von Heimmärkten – sind die PolitikerInnen dringend gefordert: Alles, was einer umfassenden nachhaltigen Entwicklung entspricht, muß jetzt attraktiver gemacht werden. Um die in Rio eingegangenen Verpflichtungen für eine weltweit gerechtere Verteilung der Ressourcen einzuhalten, sind auch unliebsame Eingriffe in die Preisgestaltung des Reisens wie die Besteuerung des Flugtreibstoffs und andere Lenkungsabgaben notwendig. Wer nimmt die Herausforderung an, endlich die bislang externalisierten, die verdeckten beziehungsweise indirekten Kosten der Billigreisen offen auf den Tisch zu legen, damit sie bis auf die Ebene der einfachen KonsumentInnen transparent werden?

Der Anlaß ist trist genug. Doch solange der Schrecken über den Absturz der Chartermaschine noch in den Knochen sitzt, müßte auch die Bereitschaft zum Umdenken vorhanden sein, die längst überfällige Trendwende im (Billig-)Reisegeschäft einzuleiten.

Christine Plüss ist Mitarbeiterin beim Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung in Basel.