piwik no script img

Regieren hat sich José Maria Aznar einfacher vorgestellt. Der konservative Wahlsieger in Spanien braucht Bündnispartner, die nicht so recht wollen. Und viele trauern bereits jetzt dem PSOE-Chef Felipe González nach Aus Madrid Reiner Wandler

Eine neue Ära mit Hindernissen

Eine bequeme Mehrheit, um im Alleingang zu regieren“ hatte sich José Maria Aznar im Wahlkampf immer wieder für seine konservative Volkspartei Partido Popular (PP) erbeten. Doch daraus wurde überraschenderweise nun doch nichts. 20 Abgeordnete fehlen ihm zur absoluten Mehrheit. Jetzt müssen Partner für eine Koalition her, und die gibt es nur bei den nationalen Minderheiten im Baskenland und in Katalonien. Das weiß Aznar und geht in Riesenschritten auf die größte Gruppe, die katalanische CiU mit 16 Abgeordneten zu. „Ich werde jede mögliche Anstrengung unternehmen, um die Regierungsfähigkeit herzustellen“, bekundete er am Tag nach dem knappen Wahlsieg. Selbst Ministerposten für Mitglieder anderer Parteien schließt er nicht mehr aus. Doch CiU-Fraktionssprecher Joaquim Molins lehnte gestern zunächst einmal dankend ab. Seine Abgeordneten würden auf keinen Fall für eine Regierung unter Aznar stimmen, sagte er. Das habe er bereits im Wahlkampf versprochen.

Die Baskische Nationalistische Partei (PNV) mit ihren fünf Sitzen zeigte sich dem Angebot zwar nicht grundsätzlich abgeneigt, wird aber kaum im Alleingang mit der PP zusammengehen. Schon 1993, als der gestern nach 13 Jahren abgewählte PSOE-Chef Felipe González auf die Unterstützung der Nationalisten angewiesen war, ordneten sich die Basken den Katalanen unter. Tolerierung statt Koalition, hieß damals die Formel.

Mit der Ablehnung durch die katalanischen Nationalisten wird Aznar von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt. Mehr Autonomie für nationale Minderheiten hatte er bisher immer wieder strikt abgelehnt. Die nationale Einheit und die spanische Sprache als ihr Garant stehen ganz oben auf seiner Liste. Von jeher sind die nach Unabhängigkeit strebenden Regionen im Norden ein rotes Tuch für Spaniens Rechte. Wenn überhaupt, wollen sie den Basken und Katalanen folkloristische Eigenheiten zugestehen.

Jetzt könnte dieser alte Konflikt den Wahlsieger vom Sonntag sogar komplett um die Regierung bringen. Spätestens bis zum zweiten April muß er sich den Segen des Parlaments einholen – mit absoluter Mehrheit, so will es die spanische Verfassung. Sollte dies nicht gelingen, wird 48 Stunden später erneut abgestimmt. Dann reicht die einfache Mehrheit. Doch auch die ist nicht leicht zu bekommen, denn die Nationalisten müssen sich dazu der Stimme enthalten. Und selbst für diese Enthaltung wird Aznar ihnen Zugeständnisse machen müssen. Jetzt wird gepokert. Sollte es gut für Aznar ausgehen, wird er mit einem äußerst schwachen Minderheitskabinett regieren, das vor jeder Entscheidung in den Hauptstädten Kataloniens und des Baskenlandes, Barcelona und Victoria, nachfragen muß.

Dabei hätte Aznar eine starke Regierung mehr als nötig. Die Teilnahme an der Umsetzung der Verträge von Maastricht steht ganz oben auf der Liste seiner Wahlversprechen – obwohl Spanien bisher noch kein einziges Konvergenzkriterium für eine einheitliche EU-Währung erfüllt hat. Weiteres ehrgeiziges Ziel: die Arbeitslosigkeit von 22,8 Prozent zu bekämpfen.

Vor allem die Jugendlichen schauen voller Hoffnung auf eine mögliche neue Regierung unter Aznar. Jeder zweite unter 25 wartet vergebens auf seinen ersten Job. Rezepte hat die PP allerdings noch keine. Aznar hat angekündigt, den Dialog mit den Gewerkschaften zu suchen. Bei der Bekämpfung des Haushaltsdefizits sollen auf keinen Fall die Sozialausgaben angerührt werden, hat er versprochen. Ob dies tatsächlich möglich ist, wird sich zeigen. Wenn nicht, könnte den spanischen Konservativen bald das blühen, was Chirac in Frankreich hinter sich hat: Streiks und Massenproteste.

Auch bei den europäischen Nachbarn bricht ob des anstehenden Regierungswechsels in Spanien zunächst keine Begeisterung aus. Spaniens Rolle in der EU ist traditionell untrennbar mit dem Namen Felipe González verbunden. 1985 unterzeichnete der Sozialist den EG-Beitritt. Die wirtschaftliche Umstrukturierung des Landes trug bald Früchte. In den ersten Jahren nach dem Beitritt boomte Spanien. „Die Deutschen des Südens“, wie die begeisterte Wirtschaftspresse die Spanier nannte, konnten ein überdurchschnittliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts vorweisen. Die veraltete, von der Diktatur Francos geerbte Industrie wurde modernisiert. International trug die Europapolitik Felipe González Ruhm und Ehren ein. Für seine europäische Geisteshaltung erhielt der wichtige Mittelsmann Richtung Nordafrika und Lateinamerika 1993 den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen.

Spaniens Bevölkerung wird José Maria Aznar sehr genau auf die Finger schauen. Besonders jene, die den Sozialisten treu geblieben sind – und das sind mehr als erwartet wurde. Das Mißtrauen ist groß. Ob die rechte PP seit ihrer Gründung durch alte Franco-Veteranen wirklich umgelernt hat oder sich nur gut tarnt, fragen sich viele. Die Erinnerung an die Diktatur ist vor allem bei der älteren Generation noch wach. Angedachte Privatisierungen in den Bereichen Schule und Gesundheit, eine Stärkung des Militärs sowie Themenkomplexe wie Abtreibung und Wiedereinführung des obligatorischen Religionsunterrichts sind nur einige Reizthemen, die schnell ungute Erinnerungen wachrufen könnten.

Auch wenn, bedingt durch die zahlreichen Korruptionsskandale der Sozialisten, viele Wähler vor allem aus der politischen Mitte González nach 14 Jahren Regierungszeit den Rücken zuwandten, sind die Errungenschaften seiner Partei nicht vergessen. Innerhalb kürzester Zeit haben die Sozialisten das Land aus der Rückständigkeit der Franco-Diktatur hinausgeführt. Vor ihrer Regierungsübernahme waren öffentliches Ausbildungssystem, freier Zugang zu den Universitäten sowie Sozialstaat Fremdwörter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen