: Amerikanische Dunkelheiten
■ Der Romancier Scott Bradfield zu Gast im Literaturhaus
Zwei Romane liegen vom 1955 geborenen Autor bisher auf deutsch vor. In Die Geschichte der leuchtenden Bewegung wird ein ödipales Horrorszenario entfaltet. Für den siebenjährigen Philipp ist Mam die Bewegung, die leuchtet. Alles, was nicht Mam ist, hat keine Rhythmik. Als sein Dad wieder auftaucht, gerät Phillipps Paradies mit Mutter so in Gefahr, daß er Dad mit dem Werkzeugkasten um die Ecke bringen will. Seine Allmachtsphantasien hängen geradezu an der Nadel, das Innere seines Kopfes ist mit der Welt von DNS, Quantensprüngen und protoplasmischen Bewegungen injiziert, die aber nie zur Erklärung des Geschehens seiner Außenwelt beitragen können.
In Bradfields zweitem Roman Was läuft schief mit Amerika fehlt die frostig-metallische Kälte des Erstlings. Nun ist es ein simples Hausfrauendasein zwischen Soap-Opera und Talkshow, sowie das an Stephen King geschulte Eindringen des Unheimlichen in die middle-class, das die böse und oft auch urkomische Groteske atmosphärisch auszeichnet. Es ist „eure verrückte Oma“ die spricht. Sie schreibt ein Tagebuch und erzählt stolz den Enkeln, daß sie gestern „euren abscheulichen Opa“ mit der Schrotflinte umgenietet hat. Marvin, der Opa, ist die Verkörperung dessen, was schiefläuft mit Amerika. Sein großes Vorbild ist der derzeitige Mitbewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, Patrick Buchanan. Oma vergräbt Opas Leiche im Garten und genießt ihre neugewonnene Freiheit wie Ferien auf einem fremden Planeten. Doch in ihren Träumen taucht Marvin wieder auf, bis er im Tagebuch zu einer nervtötenden Gegenstimme wird, die durch nichts ausgemerzt werden kann. Schließlich tun sich Erinnerungslücken bei Oma auf, und im Garten befinden sich mehrere Gräber.
Scott Bradfield ist ein Autor des Horror vacui: In seinen Büchern sind die Vereinigten Staaten ein Land, das eine todesähnliche Leere verbreitet, die nicht bezwungen werden kann. Der erste Roman hält das Beklemmende daran fest. Der zweite die sarkastisch-komische. Laut Ankündigung wird Bradfield heute abend aus seinem Erstling lesen.
Stefan Pröhl Literaturhaus, 20 Uhr
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