■ Ökolumne: Betroffene stören Von Gerd Rosenkranz
Natürlich darf die Koalition in Nordrhein-Westfalen an diesem Wochenende nicht auseinanderfliegen. Schon damit der manische Rot-Grün-Hasser Klaus Matthiesen, der sich viele Jahre lang mit großem Elan als schlechtester Umweltminister der Republik profilierte, diesen Sessel nicht noch einmal erklimmt. Wann immer es in der Vergangenheit um den Mißbrauch von Steuergeldern für Wahlkampfzwecke ging, um die Verharmlosung von Dioxinbelastungen, die Verschleppung von Sommersmog- Verordnungen, die Förderung der Gentechnologie oder der Braunkohle-Gigantomanie, stets kämpfte dieser angebliche Öko- Sozi an vorderster Front gegen das Grün, die Grünen und seinen Amtsauftrag. Das nur zur Erinnerung. Nun spricht er von „Affenzirkus“ und meint selbstverständlich die anderen.
Über die schwierige Ehe in Düsseldorf ist in den vergangenen Wochen fast alles gesagt und geschrieben worden, über anstehende Wahlen und langfristige Perspektiven. Über taktische Fehler und die Verantwortung, die bleischwer auf den Grünen lastet. Dabei schälte sich ein publizistischer Konsens heraus: Klein- klein darf nicht das große Ganze in Frage stellen, Basis- Fundis ohne Durchblick nicht die politische Zukunftsoption der Bundesrepublik Deutschland.
Doch dieser öffentliche Konsens ist ein zutiefst taktischer, möglicherweise geeignet, die aktuelle Konfrontation zu entschärfen, aber nicht die grundsätzlichen Probleme, für die der Flughafen Dortmund ein gar nicht so ungeeignetes Symbol ist.
Die Frage ist doch, was vom großen Ganzen bleibt, ohne Klein-klein. Oder: Wie lange die Zukunftsoption Rot-Grün einen guten Klang behält, wenn Klein-klein routinemäßig nach der Methode Matthiesen/Clement entschieden wird. Der Umbau der Industriegesellschaft ist ein kleinteiliges Projekt, eine Sisyphosarbeit. Erfolge wird es geben, wenn der Wandel Schritt für Schritt alle Lebensbereiche erfaßt. Es geht um eine Richtungsentscheidung an tausend Kreuzungen.
Mit den Matthiesens der SPD zerrinnt die Zukunftsoption zur Quälveranstaltung: An jeder Kreuzung eine neue Grundsatzdiskussion. Das Projekt Matthiesen gleicht dem Projekt Kohl: „Weiter so!“ und immer geradeaus. Fliegen über Köln/Bonn rund um die Uhr – für die Arbeitsplätze, ICE-Anschluß zum Airport – für den Standort Deutschland, zwei Kilometer Autobahn – für die Arbeitsplätze, Straßenbau ankurbeln – für den Standort Deutschland.
Lacht da einer? 1970 gab es in diesem Land 4.500 Kilometer Autobahnen und 150.000 Arbeitslose, 1995 sind es 11.000 Kilometer Schnellstraßen und gut vier Millionen Arbeitslose. Wo tanzt der Affenzirkus? Was die Sozialdemokraten in NRW derzeit vorführen, ist Beton gewordene Phantasielosigkeit.
Hilmar Kopper prägte das Unwort des Jahres 1994, als er die Verluste seiner Deutschen Bank in der Schneider-Affäre „Peanuts“ nannte. Die Welle der Empörung schlug über Kopper zusammen, weil alle Welt die Geringschätzung spürte, derer sich der Spitzenmanager gegenüber den von der Pleite bedrohten Handwerkern schuldig gemacht hatte. Einzelschicksale gehen ans Herz. Zu Recht. Aber nicht immer?
Wer jetzt in Dortmund oder Köln in der Einflugschneise lebt und sich gegen 24-Stunden-Lärmterror wehrt, kann mit vergleichbarer, öffentlicher Solidarität nicht rechnen. Clement steht in den Medien glänzend da. Es stören die Betroffenen. Wenn die aus der Flugschneise aufmüpfen, wenn sie etwas haben wollen vom „sozial-ökologischen Wandel“, dann werden ihre Vertreter öffentlich als nicht ganz schußecht abqualifiziert. Sie sollen den Umweltfrevel ertragen, für das Große und Ganze — und ansonsten Oropax reinschieben. Niemand regt sich auf.
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen werden die Koalition fortsetzen müssen und sich von jenen „Umfaller“ schimpfen lassen, die bei einer anderen Entscheidung „Politchaoten“ rufen würden. Eine Grundsatzentscheidung steht an diesem Wochenende nicht an. Die Konfrontation kommt immer wieder. So lange, bis sich die Sozialdemokraten für die Koalition entscheiden, die sie eingegangen sind. Endlich.
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