: Die größte Show des Internet
Die CeBIT 96 sollte eine Messe für Fachleute werden – Das Massenpublikum kommt trotzdem und will im Internet surfen. Für Computerfirmen führt kein Weg am Netz vorbei ■ Aus Hannover Niklaus Hablützel
Theo Lieven, Chef der Vobis- Kette und erfolgreichster deutscher Computerhändler, hält sich lieber an die Statistik als an Gerüchte. Danach verfügen gerade vier Prozent der deutschen Haushalte über ein Modem, über das Gerät also, das von der Wohnstube aus den Zugang in das weltweite Computeretz „Internet“ eröffnet.
„Wer will schon ins Internet?“ fragte Lieven auf der CeBIT in Hannover provokativ und setzt weiter auf den florierenden Absatz seiner Solorechner. Das Nachfolgemodell ist schon lange angekündigt, aber noch immer nicht fertig geworden. Erst auf der neuen CeBIT-Home Ende August könnte ein radikal vereinfachter sogenannter Interneterminal für weniger als 1.000 Mark vorgestellt werden, so ist zumindest am Stand des Datenbankspezialisten „Oracle“ zu hören, der auf solche Billigrechner als künftige Massenbasis setzt.
Frage Nummer eins: Wie komme ich ins Internet?
Doch auch herkömmliche Computerbauer profitieren bereits jetzt von dem Phänomen, das zwar der Statistik widerspricht, aber die ganze CeBIT überrollt. Deutlich erhöhte Eintrittspreise hatten zwar den Publikumsandrang etwas gebremst. Wer nur nach dem neuesten Spielzeug schauen wollte, blieb zu Hause. Doch die geplante Messe für Industrie- und Fachkunden kam nicht zustande. Statt dessen ist die CeBIT 96 die bislang größte Show des Internet in Deutschland geworden.
Überall dasselbe Bild: Trauben von Männern, die sich von oft genug übermüdeten Hostessen erklären lassen wollen, wie man denn nun reinkommt in das sagenhafte Netz der Netze, das einst vom Pentagon in Auftrag gegeben wurde. Nicht nur für das Konsumpublikum ist das Internet das Ereignis der Messe. Vor allem die großen Softwarefirmen kommen nicht mehr an diesem Phänomen vorbei, selbst dann nicht, wenn sie, wie etwa „Novell“, seit jeher Programme für große Rechnerverbände produziert haben.
Geschlossene Firmennetze und -systeme allein überzeugen heute niemanden mehr. Der deutsche Systembauer SAP kooperiert gleich mit Microsoft, immer noch unangefochten Nummer eins des Massenmarktes. Die beiden Partner wollen nun zusammen Programmteile entwickeln, die es beispielsweise den Kunden einer Firma möglich machen sollen, über das Internet mit dem internen System ihres Lieferanten zu kommunizieren.
Ohne fachfremde Hilfe bietet Novell Firmennetzwerke an, die Teile des Datenverkehrs ins Internet auslagern können. Denselben Weg geht Lotus unter dem neuen Dach von IBM, dem Riesen unter den Großen, der sich auch in diesem Jahr sich wieder bemüht, seine abschreckenden Vorzüge einem größeren Publikum verständlich zu machen. Doch auch die kleinen, mehr oder weniger witzigen Demonstrationen am IBM-Stand zeigen nur, daß Big Blue auch nur das kann, was alle können – möglicherweise etwas besser als alle, aber das interessert niemanden.
Natürlich hat auch IBM hat einen Web-Browser, ein Programm zum Surfen im Internet, aber den Maßstab, an dem es gemessen wird, hat die kleine Firma Netscape gesetzt. Netscapes „Navigator 2.0“ ist sogar auf dem besten Wege, die Standardarbeitsoberfläche auf dem Heim- wie auf dem Bürocomputer zu werden.
Kaum ein Gerät auf der Messe, auf dessen Bildschirm nicht rechts oben ein großes, weltumspannendes N vor einem Nachthimmel mit abstürzenden Meteoren verrät, was der Rechner dahinter treibt: Er ist mit dem Internet verbunden. Das Surfprogramm hat damit sichtbar den Streit um das beste Betriebssystem beendet, der noch im letzten Jahr die Branche bewegte. Heute ist der Netscape-Navigator meistens auf Microsofts „Windows 95“ aufgesetzt, nur ist davon nichts mehr zu sehen.
Der Boom des Internet hat Apple schwer getroffen
Noch ärger als den IBM-Konzern, der mit seinen Großrechnern wieder gut verdient, hat die Wende zum Netzwerk die Firma Apple getroffen. Zu einem ansehnlichen Stand hat es in Hannover diesmal noch gereicht, aber lächelnde Berater müssen auch hier immer wieder nur erklären, wie gut der Netscape-Browser auch auf dem „Mac“ läuft. So nennt die trauernde Fangemeinde ihr teures Prachtstück immer noch, aber der Glanz des Namens ist verblaßt.
Selbst der stärkste Apple ist im Internet bloß ein Computer unter Millionen von anderen Computern, der nur in überaus seltenen Zufällen mit einem Partner aus der selben, stark defizitären Firma verbunden ist. Den hoffnungslosen Versuch, ein eigenes Apple-Netzwerk namens „e World“ aufzubauen hat Macintosh kurz vor der CeBIT denn auch offiziell aufgegeben.
Der Erzfeind Bill Gates von Microsoft hatte diese Konsequenz schon im letzten Herbst gezogen. Das „Microsoft Network“ existiert zwar noch auf bunten Faltblättern, aber es dient einer verschwindend kleinen Zahl von Kunden in Amerika nur als Zugangstor zur Welt des Internet. Hauptattraktion auf dem monströsen Microsoft-Stand in Hannover ist deshalb Gates „Internet Explorer“, eine nur auf den zweiten Blick unterscheidbare Kopie des „Navigators“ von Netscape.
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