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Ein Aufstand der Dinge

Unbequeme Schauspieler von der Platte geputzt? John Lasseters „Toy Story“, durchweg animiert!  ■ Von Mariam Niroumand

Eine gespenstische Reinheit ist das erste, was einem an „Toy Story“ ins Auge sticht. Kein Zeichner hat diese makellosen, digital präzisierten Bilder berührt. Rosa, braun, strahlend himmelblau lächelt einen alles kalt an. Optisch sind wir ein bißchen wieder in den Fünfzigern gelandet. Auch topographisch: Ort der Handlung ist Suburbia, und ein Kinderzimmer noch dazu. Aber wie bei „Edward mit den Scherenhänden“ entpuppt sich auch hier gerade dieses Terrain als das märchenfähigste. Mit der Auffältelung der Handlung erscheinen die Bilder plötzlich als neue Klassik. Man denkt an David, de Chirico, Hopper, Hockney, Rosenquist: strahlende Flächen, die „Ja“ sagen. (Das Vorbild des Art Directors Ralph Eggleston waren die proppevollen Gemälde von Maxfield Parrish).

Über das Marionettentheater

Das Bewundernswerte ist, daß die solchermaßen entstandenen Protagonisten nicht nur irgendwelche Gesichtsausdrücke tragen, die dem Wetterberichtsschema folgen – lachender Mund, gewellter Mund, abwärts weisender Mund – sondern explizit amerikanische: ein vertrauenerweckendes Vorrecken des Kinns, eine Augenbrauenschwingung, die skeptisch „You think so?“ sagt und sogar etwas wie tongue-in-cheek, diese nette Art von Schmunzeln, hintergründig, ohne hämisch zu sein. (Der Film empfiehlt sich also für deutsche Hollywood-Aspiranten, nirgends kann man diese Mimik in solcher Reinkultur studieren). 700 Kontrollfunktionen, sogenannte Avars, die man sich wie Schnüre an Marionetten vorstellen muß, sind für den Protagonisten vorgegeben, davon allein 212 für sein Gesicht. Der Computer gleicht dann in kühnen Rechenoperationen diese Einzelbewegungen mit dem Rest des Körpers ab und verlängert das Ganze in die Dreidimensionalität – ein letzter Gruß an die Dekonstruktivisten.

Im Gegensatz zur klassischen Disney-Arbeitsweise, in der jeder Zeichner eine Figur betreute, arbeiten sie bei Pixar wie in einer Renaissancewerkstatt. Jedes Bild, vom Gewittersturm bis zum Grashalmwehen, durchläuft zehn Stadien: Storyboard, Szenenschnitt, Modellieren (ein Skelett bekommt Haut) bis hin zur Ausleuchtung (Malen mit Licht) und schließlich der Filmaufnahme. Schmutz ist fast so kompliziert zu erzeugen wie menschliche Haut, also behilft man sich mit den Extravaganzen: Sommersprossen, Härchen, Erröten, Fettglanz. Das Ergebnis bewegt sich zwischen Cartoon und Fotorealismus, ein bißchen wie auf Bildern von Chuck Close.

Unter der Leitung eines Mannes, der ausgerechnet Peter Schneider heißt, kamen dann Modellbauer mit Architekturdiplom, Kulissenmaler von der Oper in San Francisco, Computerwissenschaftler, die sich bis dato mit digitaler Pflanzenkunde beschäftigt hatten, und natürlich die üblichen Verdächtigen aus Animation, Puppentrick oder Knetmännchenbranche dazu – insgesamt über 100 Leute, Hollywood-Whizz-Kids wie Joel Cohen, statt der bei Disney-Zeichentrick üblichen 30 für die Post- Production. Natürlich hat ihre Produktion – zumal sie auch selbst gern von „Genesis“ sprechen – wieder kulturpessimistische Ängste mobilisiert: „In ,Toy Story‘ beherrscht der Computer zum ersten Mal die ganze Leinwand – und es sieht nicht so aus, als ob er das Terrain so bald wieder räumen wollte. (...) Die Regisseure können ganz gewiß nicht der Versuchung widerstehen, endlich die widerspenstigen Schauspieler abzuschaffen (...), womit wohl auch gleich der ästhetische Reiz der Kinokunst verlorenginge“ (Spiegel).

Ach was! Bislang ist ja wohl noch keiner der Untergänge eingetroffen, die bei jedem Technologiesprung für die älteren Medien prophezeit werden (Fotografie – Malerei, Computer – Buch, Fernsehen – Kino). Zumal sich – das haben jedenfalls Befragungen amerikanischer „Toy Story“-Zuschauer ergeben – die begeisterten Reaktionen in dem Moment einstellten, als die Leute vergaßen, daß es sich um Animation handelte.

Das Kinderzimmer, ein Dienstleistungsreich

Das Erzählgenre von „Toy Story“ ist ein klassischer Buddy-movie, die Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft nach dem Vorbild von „Midnight Run“ oder „48 Stunden“. Der dramatische Konflikt ist, wie die Szenerie, typisch Fifties: Andy hat viele Spielsachen, und ihr Reich ist unser Reich. Sein Lieblingstoy war bis zu diesem Geburtstag der Cowboy Woody, (modelliert nach dem Westerndarsteller Woody Strode, vor allem aus John-Ford-Filmen bekannt). Bislang hatte Woody mit dem Demokratieverständnis eines Frontierman für ein pflichtbewußtes, korporativistisches Zusammenleben von Dino, Mr. Potato Head, Slinky Dog, magischer Zeichentafel (!) Etch-A-Scetch, grüner Armee, Äffchenkette, Fernglas (!) und so weiter gesorgt. Über die Hausfunkanlage hören sie nun alle gebannt, wie Andy ein Geschenk nach dem anderen auspackt. Wird Woody Konkurrenz bekommen? Wird jemand von ihnen ersetzt werden? C'est la vie des Angestellten! Bislang ging alles gut: Rollschuhe, Pullis, Süßigkeiten, nicht der Rede wert, aber ach! Als letztes entnimmt Andy einem Paket die Figur von Buzz Lightyear, einer Space-Ranger-Actionfigur, ein Mann des neuen Frontier, des Weltalls.

Buzz also landet mit einem Whopp! auf Andys Bett, erwacht unter seiner Kapsel, reckt ein nicht unerhebliches John-Wayne-Kinn und versucht, Kontakt mit seiner Commander-Base aufzunehmen. Er betätigt allerhand Knöpfe und Laserstrahler und spricht zu den ihn mit offenem Mund anstarrenden Mit-Toys: „I'm Buzz Lightyear. I'm from planet Soundso. I come in peace.“ So, so, entgegnet Woody, ich bin von Matell, und gib hier nicht so an, und das Bett da, Andys Bett, ist mein Platz, und deine Gimmicks kannst du stecken lassen. Du bist auch nur ein Spielzeug und kannst auch nicht fliegen, sondern was du da machst, ist bestenfalls „falling in style“. Gutmütig versetzt darauf der große Buzz: „Oh, that's only laser-envy“ (die Toy-Form von Penisneid).

Amateursurrealist Nick, Spielzeugquäler

So geht es hin und her und führt unter der Hand also den Kunstvorwurf ein, den sich diese computergenerierte Filmform natürlich auch wieder einhandeln wird: Du bist bloß ein Spielzeug, du bist nicht echt! Aber Montgomery Clift war auch nicht „echt“! Nun, aber man sah doch echte Menschen sich bewegen und Dinge tun! Ach was, man sah Zelluloid und sieht auch hier wieder Zelluloid! Dieses Pingpong läßt sich noch ein paar Stufen weiterdrehen, wenn die beiden Helden schließlich aus dem Kinderzimmer in die weite Welt hinausziehen. Woody hat Buzz aus dem Fenster katapultiert, beide haben sie sich, ohne daß Andy davon weiß, an das Auto gehängt, mit dem er und seine Mutter zum Pizza-Planet fahren.

Die Tankstelle, an der sie halten, übertrifft an steriler Tristesse Hoppers düsterste Träume. Fast schnappt man nach Luft, so vakuumverpackt wirkt alles. Im spacigen Pizza-Planet greift sie, aus Gründen, die hier nicht erläutert werden können, ein Metallarm und wirft sie in die Hände des kleinen Spielzeugquälers und Amateursurrealisten Nick. Er hält Puppen ins Feuer, schraubt Köpfe ab, setzt sie auf Krakenarme, gibt den Beinen einen Froschschädel – sein dunkles Kinderzimmer ist ein Ort des Schreckens, in dem ein giftiger kleiner Kurt Schwitters im Punk- T-Shirt grausige mechanische Balletts tanzen läßt.

Die Objekte sind alive and kicking, die Menschen hingegen wirken etwas untot. Aufstieg und Fall der Dingwelt nehmen ihren Höhepunkt, wenn Buzz im Fernsehen seinen Werbespot sieht, mit Preisangabe und allem drum und dran. Nun selbst in Westerndialogfetzen sprechend sagt er seinem Freund Woody: „Flieh' ohne mich weiter, ich bin eh nichts wert. Ich bin ja wirklich nur ein Spielzeug.“

Aber Regisseur Lasseter wäre nicht Disney-Animateur, wenn es nicht die Zuschauergefühle wären, die die Objekte zum Tanzen bringen. Selbst ein so mutloses Objekt wie den armen Buzz Lightyear, der sich so in seiner Natur täuschte.

„Toy Story“. Regie: John Lasseter. USA 1995, 80 Min.

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