: Gefangen und allein im Kirchenasyl
Eine Gruppe von 300 Westafrikanern – Männer, Frauen und Kinder – hält eine Pariser Kirche besetzt. Sie protestieren gegen französisches Ausländerrecht. Solidarität erfahren sie kaum ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Es ist dunkel in Sainte-Ambroise. Die von den Kirchenfenstern blaugrün gefärbten Sonnenstrahlen erreichen nur ganz schwach den Mosaikboden, auf dem die Frauen mit den leuchtenden Kopftüchern sitzen. Rund um die Pfeiler haben sie ihre Decken ausgebreitet. In Anoraks und Wollmützen gemummte Kinder liegen darauf. Im gegenüberliegenden Kirchenschiff haben sich die Männer niedergelassen. Dicht aneinandergeschmiegt versuchen sie, der Kälte und dem Hunger zu trotzen.
Am Montag morgen sind sie mit Windeln, Babyflaschen und Wolldecken in diese Kirche im elften Pariser Arrondissement eingezogen. 300 Westafrikaner – die meisten aus Mali, ein paar aus Senegal, Mauretanien und Guinea. Alle ohne gültige Aufenthaltspapiere. Nur die über 100 kleinen Kinder, die in Frankreich zur Welt gekommen sind, halten sich legal im Land auf. Alle anderen können jederzeit abgeschoben werden. Die Männer sind gleich in den unbefristeten Hungerstreik getreten. Die Frauen sind da, wo ihre Männer sind, erklärt eine von ihnen.
Schon vor einem Monat beschloß die Gruppe, etwas zu tun. Ihr „Chef“ suchte die Kirche aus dem 19. Jahrhundert aus. „Das ist das Haus Gottes, hier sind wir beschützt“, meint einer von ihnen, ein gläubiger Moslem wie alle die Hungerstreikenden. „Es tut uns leid, daß wir jetzt in diesem heiligen Ort sind“, sagt eine junge Frau, die nie zuvor einen christlichen Tempel betreten hat, „aber wo sollten wir sonst hingehen?“
Die örtliche Pfarrei: „Wir können nicht helfen“
Die Pfarrei reagierte verständnislos. „Was sollen wir da tun? Die Afrikaner haben keine Papiere, da kann die Kirche nicht helfen“, sagt eine Mitarbeiterin. Schon nach wenigen Stunden übergab der Pfarrer die Schlüssel seines Tempels den Behörden. Das Ewige Licht über dem Altar hat er am Mittwoch gelöscht. Seither tut sich im Inneren von Sainte-Ambroise nichts. Die Besetzer sind zu Geiseln ihrer mutigen Aktion geworden. Wenn sie ausziehen, riskieren sie, von der Polizei aufgegriffen und per Charterflugzeug in ihre Heimat gebracht zu werden. Das Mißtrauen gegen Fremde ist groß. Kaum jemand mag mit Journalisten reden. Ihren Namen halten alle geheim. Jeder Besucher wird an dem Gitter vor der Kirchentür kontrolliert. Jeder Besetzer, der zur Toilette in einem Nachbarhaus gehen will, muß sich am Ausgang der Kirche einen kleinen Coupon holen.
Draußen drängeln sich Freunde und Verwandte der Besetzer. Nur den wenigsten gelingt es, in die Kirche zu kommen. Zwei Afrikaner wollen sich dem Hungerstreik anschließen. Sie sind selbst „Illegale“ und seit vielen Jahren in Frankreich. In Sainte-Ambroise glauben sie, ihre Situation regeln zu können. „Es sind schon zu viele“, erfahren sie am Informationstisch vor der Kirche, wo Listen ausliegen, in denen die Anwohner ihre Unterstützung erklären können.
Die Anwohner machen sich rar. Ganz selten liefert jemand „Milch für die Kinder“ oder „Blumen für die Frauen“ ab. Plötzlich rauscht eine elegante Dame mit schwarzen Stöckelschuhen an den Informationstisch. Sie reißt die Kasse an sich und zerreißt eine Unterschriftenliste. In dem Handgemenge, das dabei entsteht, geifert sie: „Das ist unsere Kirche. Ihr müßt da raus. Wir werden länger durchhalten als ihr.“ „Es ist nicht leicht, heute Ausländer in Frankreich zu sein“, sagt Jacques Gaillot, der vom Papst geschaßte Exbischof von Evreux, der die Hungerstreikenden besucht. „Das ist ein Akt der Verzweiflung. Die Kirche muß jetzt Asylrecht gewähren und versuchen mitzuhelfen, daß es eine Lösung mit der Regierung gibt.“
Die Suche nach einer Lösung gestaltet sich schwierig. Der französische Justizminister hat gerade ein neues Gesetz in der Schublade, das die illegale Einwanderung weiter eindämmen soll. Das „Loi Toubon“ stellt unter anderem hohe Strafen für „Komplizen“ in Aussicht. Die Helfer, die in der Kirche Sainte-Ambroise die Hungerstreikenden unterstützen, würden nach dem neuen Gesetz, das in wenigen Wochen verabschiedet werden soll, Gefängnis riskieren. Von der Botschaft ihres Herkunftslandes haben die malischen Hungerstreikenden wenig zu erwarten. „Natürlich interessieren wir uns für die Lage vor Ort“, heißt es dort, „aber wir können illegale Einwanderer nach Frankreich nicht unterstützen.“ Für die 30.000 Malier, die sich legal im Land der ehemaligen Kolonialmacht aufhalten, hat eine gemischte französisch-malische Arbeitsgruppe in den letzten Jahren ein Betreuungsprogramm ausgearbeietet: Danach soll unterstützt werden, wer in die Heimat zurückkehren will.
Der alte Mann im Kircheninneren hat von alldem keine Ahnung. Seit fünf Jahren lebt der Vater von sechs Kindern, die alle in Mali leben, illegal in Frankreich. Er ist bei Verwandten untergeschlüpft, die ihn notfalls auch durchfüttern, und hat gelegentlich „kleine Jobs“. Jetzt zittert er zusammen mit seinem Neffen unter einer Wolldecke, hat Hunger und ist denoch bereit, so lange durchzuhalten wie nötig. Einen Kirchenpfeiler weiter erklärt ein junger Mann seine Situation: Seine Frau, sein Kind und er verstecken sich seit Jahren. Vor der Polizei, die ganz sicher auch vor Sainte-Ambroise wartet, hat er keine Angst. „Wir halten durch“, versichert er.
Immer mehr rassistische Angriffe in Frankreich
Berlin (taz) – Die rassistische Gewalt in Frankreich nimmt zu. Nach einer neuen Bilanz der Nationalen Menschenrechtskommission starben 1995 sieben Menschen bei rassistischen Angriffen. 1994 waren es noch drei, 1993 gar keiner. 70 Prozent der Opfer waren Nordafrikaner. Die Kommission registrierte auch ein „konzertiertes Manöver“ von Rechtsextremisten, Flugblätter zu verteilen, auf denen angebliche arabische Gruppen zu Gewalt gegen Franzosen aufrufen.
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