: Die Rache der Ministerialbürokratie
■ Ein Insider-Roman über Lothar Späth beschreibt die Rückseite der Macht
Stuttgart (taz) – Lothar Späth gilt unter den Schwaben trotz seines Rücktritts vor fünf Jahren noch immer als einer der beliebtesten Politiker. Daß er gehen mußte, weil er zwischen den eigenen und den politischen Interessen des Landes nicht mehr unterscheiden konnte, wird lediglich als eine Art Betriebsunfall gewertet. Je länger der brave Nachfolger Erwin Teufel als Ministerpräsident Baden- Württemberg regiert, desto verklärter erinnern sich dessen Bewohner an die Zeiten, als ihr Chef in der Welt noch etwas galt. Späth, heute Manager bei Jenoptik in Jena, füllt denn noch immer Hallen, wenn er zu Besuch ins Ländle kommt, und um ihm nahe zu sein, bezahlen die früheren Untertanen sogar Eintritt: Im vergangenen Wahlkampf blamierte Späth seinen Nachfolger Teufel, indem er für seine Rede in der Stuttgarter Liederhalle 37 Mark Eintritt verlangte – und der Saal war voll.
Jetzt ist Späth auch noch zur Romanfigur geworden: als Oskar Specht. Was den seit heute im Buchhandel erhältlichen Roman „Monrepos oder: Die Kälte der Macht“ so brisant macht, ist der Autor. Geschrieben hat ihn der ehemalige Regierungssprecher Späths, Ministerialdirigent Manfred Zach. Zwar hat Zach die Namen seiner Figuren ein wenig verändert – aus Späth wurde Specht, aus Gerhard Mayer-Vorfelder Müller-Prellwitz – doch die Fakten stimmen. So genau, daß sich einige Akteure bis in die Dialoge hinein wiedererkennen können.
Ein machtbesessener, oberflächlicher Mensch
Am allerwenigsten wird das Lothar Späth gefallen. Zach zeichnet ein Bild von ihm, das ihn als machtbesessenen, eitlen und oberflächlichen Menschen zeigt, der mit Worthülsen und Tricks seinen Minderwertigkeitskomplex übertüncht. Ein Politiker, der von Visionen plappert und nicht einmal einfachste Umgangsformen beherrscht; der kritische Mitarbeiter feuert, politische Konkurrenten kaltstellt und die Welt einteilt in nützliche Idioten und Gegner.
Das Buch, schreibt der Verlag Klöpfer & Meyer, sei ein „exemplarisches Psychogramm der Politik, ihrer Mechanismen, Verlockungen, Gefahren, Verkrümmungen“. Es erscheint nicht zufällig einen Tag nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Im Verlag fürchtete man, ein früherer Erscheinungstermin könnte die gereizten Politiker zu Gericht marschieren lassen. Schließlich war es für Manfred Zach, der heute im Sozialministerium in Stuttgart arbeitet, schwer genug, überhaupt einen Verlag zu finden. Einer lehnte von vornherein ab. Seine guten Beziehungen zu Lothar Späth wollte er nicht gefährden.
1975 begann Manfred Zach noch unter dem damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger seine Karriere im Staatsministerium. Er galt als hoffnungsvoller Bürokrat, ehrgeizig, konservativ, intelligent und loyal. Schnell stieg Zach auf zum engsten Kreis der Zuarbeiter des Ministerpräsidenten und war mit 35 Jahren bereits dessen bevorzugter Redenschreiber. Späths Regierungserklärungen, Späths Vorträge, Späths Bücher – sie stammen aus seiner Hand, der Chef selbst soll sie teilweise nicht einmal gelesen haben.
Mister Show-Man hatte dagegen nur eines im Kopf: Wie komme ich gut an? Diesem Ziel hatten die Mitarbeiter des Staatsministeriums zu dienen, und dafür war kein Leserbrief zu gefälscht, kein Anruf zu anonym, kein Schachzug zu verwinkelt. Das Buch gibt Einblicke in die Banalität und in die Schamlosigkeit von Politik. Ein Schlüsselroman über die traurige Rückseite der Fassade, der doch auf die Schlüssellochperspektive verzichtet. Private Eskapaden seines Herrn – und Manfred Zach hätte da einiges zu erzählen – finden sich nicht.
Gestrichen hat der Autor leider auch einige Szenen, die dem Justitiar des Verlages dann doch etwas zu gefährlich erschienen: Wie Staatssekretär Müller-Prellwitz beispielsweise in der Villa Reitzenstein orgiastisch seine Beförderung feiert: „Flaschen, Fässer und Essensreste übersäten die Bibliothek, den Flur, die Treppe, das Obergeschoß, Bronzebüsten, hieß es, wären mit Brötchen beworfen, das Dienstfahrzeug des neuen Staatssekretärs mit einer auf dem Dach zerschmetterten Champagnerflasche getauft worden.“
Mittendrin die Hauptfigur Bernhard Gundelach, alias Zach, der, erst angezogen von der Macht, allmählich deren Destruktivität erkennt und sich nach langen Jahren eines Nachts im Bett die Frage stellt: „Willst du das wirklich? Dein Leben ableiten von denen, die dich zu einem Etaws machen, indem sie dich etwas werden lassen?“
Der gnadenlose Blick auf die enthüllte Macht überraschte einige Zeitgenossen vor allem deshalb, weil Manfred Zach als loyaler Diener Späth bis zum Schluß die Stange hielt und noch in den letzten Tagen seiner Regierungszeit gegen die angeblichen Verleumder und Kritiker ankämpfte. Nie gab der Regierungssprecher damals zu erkennen, daß er Zweifel hegte an der Kompetenz und der Redlichkeit seines Chefs. So wirkt das Buch heute selbstgefällig, denn der Held Gundelach steht auch als Akteur immer über den Dingen.
Der Roman zeigt, wie Politik funktioniert
„Ich wollte Späth keins auswischen“, sagt Manfred Zach heute. „Ich wollte nur zeigen, wie Politik funktioniert.“ Das ist ihm gelungen und der Weihrauch um Lothar Späth ordentlich vertrieben. Einer allerdings, Erwin Teufel, der bis heute unter seinem populären Vorgänger leiden muß, kann sich über dieses Buch auch nicht so recht freuen. Teufel kommt als „Fraktionschef Deusel“ nicht gerade gut weg, denn er will immer nur das eine: endlich Ministerpräsident werden. Ja, so ein Buch will man demnächst auch aus dem Kanzleramt gern lesen. Aber bitte so gut geschrieben wie dieses! Unsere Ministerialbürokratie hat schließlich literarische Qualitäten! Goethe war ja im Grunde auch nur ein kleiner Staatsbeamter. Philipp Maußhardt
Manfred Zach: „Monrepos oder: Die Kälte der Macht“. Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen, 496 Seiten, 49,80 Mark.
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