: Irre: Rinderwahn weckt Seehofer
■ EU entscheidet über Importverbot für britisches Rindfleisch. Veterinäre halten zusätzlichen Schutz vor BSE nicht für nötig. Horst Seehofer (CSU) fordert Maßnahmen gegen Arzneimittel und Kosmetika mit Rinderbestandteilen
Bonn/London (AFP/AP) – Nach alarmierenden Berichten über die Übertragbarkeit von Rinderwahnsinn (BSE) auf den Menschen entscheidet der Ständige Veterinärausschuß der Europäischen Kommission heute in Brüssel über ein generelles Importverbot für britisches Rindfleisch. Noch am Samstag hielt der Ausschuß ungeachtet des bereits von elf EU- Staaten verhängten Einfuhrverbots eine Verschärfung der Maßnahmen zum Schutz vor BSE-Erregern für nicht erforderlich. Gestern dagegen verlautete aus Kreisen der EU-Kommission, daß auch die Empfehlung von Wissenschaftlern, alle möglicherweise mit BSE infizierten Rinder zu töten, „sehr ernsthaft erwogen“ werde. Auch der britische Landwirtschaftsminister Douglas Hogg schließt diese Maßnahme seit gestern nicht mehr aus.
Es gilt als nicht sehr wahrscheinlich, daß der Ständige Veterinärausschuß ein EU- weites Importverbot beschließt, da eine Entscheidung einstimmig fallen müßte – also auch mit der Stimme Großbritanniens. Gibt es keine Einigung, müßte der Ministerrat über ein Verbot befinden.
Die Schnellimbißkette McDonald's stellte gestern den Verkauf von Hamburgern in ganz Großbritannnien vorübergehend ein. Die EU-Kommission gerät derweil zunehmend unter Druck. In erster Reihe der Befürworter eines Exportverbotes: Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), der am Freitag einen deutschen Importstopp für britisches Rindfleisch verhängte. Als „blanken Aktionismus“ und eine „Scheinlösung“ hatte er im Februar noch das Einfuhrverbot von vier Bundesländern bezeichnet und verkündet, er wolle persönlich den Beweis antreten, „daß man in diesen Ländern ein ganze Ladung Rindfleisch aus Großbritannien verkaufen kann, ohne daß es die Behörden merken“. Diesen Beweis wird er nach Einschätzung von Experten auch bei einem EU-weiten Importverbot antreten können. Am Samstag erklärte Seehofer nun in Bonn, die Bundesregierung werde heute auf einem strikten Importverbot für Rinder, Rindfleisch, Rindfleischerzeugnisse, Tiermehl und Rinderbestandteile zur Herstellung von Arzneimitteln und Kosmetika aus Großbritannien und der Schweiz bestehen. Das Einfuhrverbot müsse so lange gelten, bis in den beiden Ländern BSE nachprüfbar verschwunden sei. Ähnlich äußerte sich der niederländische Landwirtschaftsminister.
In Deutschland kritisierten Verbraucherverbände das nationale Importverbot als wirkungslos. Der Präsident der deutschen Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AGV), Heiko Steffens, kritisierte, der Bevölkerung werde ein nationaler Schutz vor mit der Rinderseuche BSE infiziertem Fleisch vorgegaukelt.
Die Angst der Verbraucher gefährdet offenbar auch bereits die Existenz deutscher Bauern. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn berichtete in der Kölner Zeitung Sonntag-Express, seit Beginn der neuen BSE-Debatte sei der Verkauf von Rindfleisch in ihrem Bundesland bereits um 25 Prozent zurückgegangen. Viele Bauern seien in ihrer Existenz bedroht, obwohl sie mit BSE nichts zu tun hätten und der Weg ihrer Rinder von der Geburt bis zur Schlachtung belegbar sei. Tagesthema Seite 3
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