: Theater ohne Airbag
■ Jung, aufmüpfig und handwerklich perfekt: Absolventen der Ost-Berliner Schauspielschule Ernst Busch bringen produktive Unruhe ins Bremer Theater
Jetzt macht ErnstBusch schon Druck in Bremen. Das kann ja wohl nicht wahr sein.“ Berlins neuerKultursenator Radunski (CDU) wähnte sich auf einer ruhigen Klausurtagung seiner Partei im Bremer Parkhotel. Und nun wieder diese Berliner Ärgernisse. Endlos langeUnterschriftslistenund Protestresolutionen wurden ihm unter die Nase gehalten. Gleich eine ganze Gruppe von Schauspielern des Bremer Theaters machte auf das Skandalonvon der geplanten Zusammenlegung Deutschlands berühmtester Schauspielschule mit derHochschuleder Künste aufmerksam. ErnstBusch muß in der ursprünglichen Formerhalten bleiben, lautetihre Forderung, die auch Intendant Pierwoß unterstützt. Ein selbstverständlicher Akt der Solidarität?
Was wie eine Selbstverständlichkeit wirken könnte, ist dem besonderen Berufsethos der SchauspielerInnen aus Ost-Berlin zu verdanken.Dennneben handwerklicher Perfektion und hoher Motivation haben sie noch etwas anderesmitgebracht. Ein Gefühl der Verantwortung, daß der Schauspieler einengesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen habe und notfalls auch mal produktive Unruhe stiften müsse, um sich einzumischen.
Ein neues und junges Ensemble hat in den letzten eineinhalb Jahren zum Aufschwung des Bremer Theaters unter dem Intendanten Pierwoß entscheidend beigetragen. 70 Prozent der 21 Bremer Schauspieler stammen aus der DDR, die meisten darunter sind Absolventen der ErnstBusch-Schule. Pierwoß hat gleich einen ganzen Absolventen-Jahrgang ans Bremer Theater verpflichtet. Ein geschickter Coupfür ein armes Haus, der sich zuletzt in der gelungenen „Dreigroschenoper“ wieder bewährt hat. Regisseur Andrej Woron war begeistert von dem Ensemble.
Aber die Truppe ist mit Umständen konfrontiert, die sich wesentlich von dem unterscheiden, was man ihnenan der ErnstBusch- Schule mit auf den Weg gab.
Susanne Schrader, die in den Produktionen „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, „Woyzeck“ und „Lulu“ spielt, erläutert es für die in der DDRaufgewachsenen Schauspieler: „Theater, das war eine Oase, auch des Miteinanders im Team. Und das Berufsbild war ein anderes. Jederwußte, wie schwer der Beruf ist, daß es eine langeAusbildung braucht und daß nicht jeder das kann.“ Das wesentliche aber sei gewesen, daß man eine Funktion in der Gesellschaft gehabt habe.Theater, das sei auch für das Publikum etwas sehr Wichtiges gewesen, ein Ort, an dem genau hingehört wurde auf das, was auf der Bühne gesagt wurde. Heiko Senstergänzt: „Hierdrehe ich den Fernseher an und sehe „Gute Zeiten, schlechte Schauspieler“; das verändert auch das Selbstgefühl bei einem Beruf, den mal offensichtlich auch mit weniger Ausbildung ausüben kann.“
Doch die Kennzeichen der ErnstBusch-Schule bestätigen sich auch im Westen. Die unterschiedlichen Ausbildungzweige, die die zukünftigen SchauspielerInnen durchlaufen müssen, sind aufs engste miteinander verzahnt. Der Fechtunterricht etwa ist nicht vom Stimmtraining separiert. Das ist durchaus sinnvoll, schließlich soll auch später auf der Bühne, während des Säbelduells, der eine oder andere Dialog gesprochen werden. Unter anderem ist es dieser Unterrichtsmethode zu verdanken,daß die Absolventen der Ost-Berliner Schule auf dem Markt so begehrt sind. Vieleandere jungeSchauspieler haben große Mühe, ein Engagement zu finden. Max Hoppjedoch weiß:„Die allermeisten ErnstBusch-Schüler kriegen Angebote.“
Sven Lehmanngehört zur Gruppe der ErnstBusch-Absolventen, die direkt nach dem Studium 1994 gemeinsam im Bremer Theater angefangen haben. „Zur Zeit bin ich gut beschäftigt: Bei „Lulu“, „Minna von Barnhelm“ und der „Dreigroschenoper“ stehe ich auf der Bühne. Die Proben für den „Sommernachtstraum“ haben auch begonnen,und wennjetzt noch einer krank wird,dann gibt es Umbesetzungsproben, und ich hab noch eine Rolleam Hacken.“ Immer ist das erste Engagement ein Praxisschock. Plötzlich gibt es jeden Abend Publikum, das gewonnen werden will, und jede Menge Spielverpflichtungen. Auf 15 bis 18 Vorstellungen bringen es die jungen Schauspieler zur Zeit am Bremer Theater. „Dies ist kein normales Theater“, da sind sich alle einig. Dennneben der Möglichkeit, sich auszuprobieren, besteht auch die Gefahr, bei dem täglichen Wechsel zwischen den sehr unterschiedlichen Rollen auszubrennen.Das Risiko ist groß,schließlich bestimmt den Arbeitsrhythmus des Schauspielers kein 8-Stunden Tag. „Mein Alltag spricht Bände“, sagt Max Hopp, der die Solidaritäts-Aktion für die Ernst-Busch-Schule organisiert hat. „Morgens um 10 Uhr geht's los mit den Proben, dann wird bis 14 Uhr gearbeitet. Und um 18 Uhr beginnt entweder die zweite Probe oder die Vorbereitungen für die Abendvorstellung. Das war's dann.Nach23 Uhr ist Schluß. Aber dann schafft man es gerade noch in die Kneipe.“ Die tägliche Arbeitsbelastung allein ist jedoch nicht das Problem. Als irritierend empfindendie SchauspielerInnen aus Ost-Berlin den gesellschaftlichen Stellenwert des Schauspielerberufes im Westen. Durch die Diskussionen um den Etat des Bremer Theaters wird die Situation noch zugespitzt. „Du mußt hier was liefern, kriegst aber oft kein Feedback“, sagt Heiko Senst, der in sechslaufenden Produktionen auf der Bühne steht und zusätzlich noch probt. „Das fühlt sich manchmal an, als hätte jemand vorsätzlichden Air bag aus einem teuren Wagen ausgebaut. Jetzt,wo das Theater so existenziell bedrohtist, muß man das Publikum für sich gewinnen,obwohl die Politiker gegen einen sind. Als müßte man sich ständig rechtfertigen für das, was man tut.“
Susanne Raubold
etzt macht Ernst Busch schon Druck in Bremen. Das kann ja wohl nicht wahr sein.“ Berlins neuer Kultursenator Radunski (CDU) wähnte sich auf einer ruhigen Klausurtagung seiner Partei im Bremer Parkhotel. Und nun wieder diese Berliner Ärgernisse. Endlos lange Unterschriftslisten und Protestresolutionen wurden ihm unter die Nase gehalten. Gleich eine ganze Gruppe von Schauspielern des Bremer Theaters machte auf das Skandalon von der geplanten Zusammenlegung Deutschlands berühmtester Schauspielschule mit derHochschule der Künste aufmerksam. Ernst Busch muß in der ursprünglichen Form erhalten bleiben, lautet ihre Forderung, die auch Intendant Pierwoß unterstützt. Ein selbstverständlicher Akt der Solidarität?
Was wie eine Selbstverständlichkeit wirken könnte, ist dem besonderen Berufsethos der SchauspielerInnen aus Ost-Berlin zu verdanken. Denn neben handwerklicher Perfektion und hoher Motivation haben sie noch etwas anderes mitgebracht. Ein Gefühl der Verantwortung, daß der Schauspieler einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen habe und notfalls auch mal produktive Unruhe stiften müsse, um sich einzumischen.
Ein neues und junges Ensemble hat in den letzten eineinhalb Jahren zum Aufschwung des Bremer Theaters unter dem Intendanten Pierwoß entscheidend beigetragen. 70 Prozent der 21 Bremer Schauspieler stammen aus der DDR, die meisten darunter sind Absolventen der Ernst Busch-Schule. Pierwoß hat gleich einen ganzen Absolventen-Jahrgang ans Bremer Theater verpflichtet. Ein geschickter Coup für ein armes Haus, der sich zuletzt in der gelungenen „Dreigroschenoper“ wieder bewährt hat. Regisseur Andrej Woron war begeistert von dem Ensemble.
Aber die Truppe ist mit Umständen konfrontiert, die sich wesentlich von dem unterscheiden, was man ihnen an der Ernst Busch- Schule mit auf den Weg gab.
Susanne Schrader, die in den Produktionen „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, „Woyzeck“ und „Lulu“ spielt, erläutert es für die in der DDR aufgewachsenen Schauspieler: „Theater, das war eine Oase, auch des Miteinanders im Team. Und das Berufsbild war ein anderes. Jeder wußte, wie schwer der Beruf ist, daß es eine lange Ausbildung braucht und daß nicht jeder das kann.“ Das wesentliche aber sei gewesen, daß man eine Funktion in der Gesellschaft gehabt habe. Theater, das sei auch für das Publikum etwas sehr Wichtiges gewesen, ein Ort, an dem genau hingehört wurde auf das, was auf der Bühne gesagt wurde. Heiko Senst ergänzt: „Hier drehe ich den Fernseher an und sehe „Gute Zeiten, schlechte Schauspieler“; das verändert auch das Selbstgefühl bei einem Beruf, den mal offensichtlich auch mit weniger Ausbildung ausüben kann.“
Doch die Kennzeichen der Ernst Busch-Schule bestätigen sich auch im Westen. Die unterschiedlichen Ausbildungzweige, die die zukünftigen SchauspielerInnen durchlaufen müssen, sind aufs engste miteinander verzahnt. Der Fechtunterricht etwa ist nicht vom Stimmtraining separiert. Das ist durchaus sinnvoll, schließlich soll auch später auf der Bühne, während des Säbelduells, der eine oder andere Dialog gesprochen werden. Unter anderem ist es dieser Unterrichtsmethode zu verdanken, daß die Absolventen der Ost-Berliner Schule auf dem Markt so begehrt sind. Viele andere junge Schauspieler haben große Mühe, ein Engagement zu finden. Max Hopp jedoch weiß: „Die allermeisten Ernst Busch-Schüler kriegen Angebote.“
Sven Lehmann gehört zur Gruppe der Ernst Busch-Absolventen, die direkt nach dem Studium 1994 gemeinsam im Bremer Theater angefangen haben. „Zur Zeit bin ich gut beschäftigt: Bei „Lulu“, „Minna von Barnhelm“ und der „Dreigroschenoper“ stehe ich auf der Bühne. Die Proben für den „Sommernachtstraum“ haben auch begonnen, und wenn jetzt noch einer krank wird, dann gibt es Umbesetzungsproben, und ich hab noch eine Rolle am Hacken.“ Immer ist das erste Engagement ein Praxisschock. Plötzlich gibt es jeden Abend Publikum, das gewonnen werden will, und jede Menge Spielverpflichtungen. Auf 15 bis 18 Vorstellungen bringen es die jungen Schauspieler zur Zeit am Bremer Theater. „Dies ist kein normales Theater“, da sind sich alle einig. Denn neben der Möglichkeit, sich auszuprobieren, besteht auch die Gefahr, bei dem täglichen Wechsel zwischen den sehr unterschiedlichen Rollen auszubrennen. Das Risiko ist groß, schließlich bestimmt den Arbeitsrhythmus des Schauspielers kein 8-Stunden Tag. „Mein Alltag spricht Bände“, sagt Max Hopp, der die Solidaritäts-Aktion für die Ernst-Busch-Schule organisiert hat. „Morgens um 10 Uhr geht's los mit den Proben, dann wird bis 14 Uhr gearbeitet. Und um 18 Uhr beginnt entweder die zweite Probe oder die Vorbereitungen für die Abendvorstellung. Das war's dann. Nach 23 Uhr ist Schluß. Aber dann schafft man es gerade noch in die Kneipe.“ Die tägliche Arbeitsbelastung allein ist jedoch nicht das Problem. Als irritierend empfinden die SchauspielerInnen aus Ost-Berlin den gesellschaftlichen Stellenwert des Schauspielerberufes im Westen. Durch die Diskussionen um den Etat des Bremer Theaters wird die Situation noch zugespitzt. „Du mußt hier was liefern, kriegst aber oft kein Feedback“, sagt Heiko Senst, der in sechs laufenden Produktionen auf der Bühne steht und zusätzlich noch probt. „Das fühlt sich manchmal an, als hätte jemand vorsätzlich den Air bag aus einem teuren Wagen ausgebaut. Jetzt, wo das Theater so existenziell bedroht ist, muß man das Publikum für sich gewinnen, obwohl die Politiker gegen einen sind. Als müßte man sich ständig rechtfertigen für das, was man tut.“
Susanne Raubold
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