: Rote Sonne von McDonald's
■ Sich heimlich Fische schenken: „Chungking Express“ von Wong Kar-Wai
Ein Film wie aus dem Aquarium: blau, flüssig, Buntes zieht flugs vorbei. Manchmal saugt man sich irgendwo für ein paar Minuten fest, dann aber weiter, denn schließlich gibt es dies Mädchen da, oder diese Reihe von Ananasdosen, diese schillernde Blechjalousie oder diesen Marktplatz. Tag ist es eigentlich selten. Eine Topographie des Hongkonger Sha-Tsui- Viertels entsteht nicht, warum auch. Stadtpläne braucht nur, wer etwas vorhat. Hinter den schlanken, schwarzen Straßenlampen ziehen bauschige Aquarellwolken vorbei, irgendwie tröstlich: wer weiß, was der Fluß der Dinge noch alles heute abend an dir vorbeispült.
Jedenfalls ist da ein Polizist, Dienstnummer 223, in unaggressiver hellblauer Uniform, und in der Menge, die durch die engen Gassen strömt, geht eine Frau an ihm vorbei. Sie trägt eine üppige blonde Perücke, Gena-Rowlands- Style, einen Trenchcoat und überhaupt alle Insignien des Verbrechens. Wenn 223 sie nicht sieht, kommandiert sie ihren Troß von Indern herum: in einer kleinen Bude hocken sie, lösen Kissennähte, schneiden Teddybären auf und tasten an Fernsehapparaten herum, um überall Kokain reinzustopfen. So wie der Film gebaut ist, weiß man genau, daß die Sache niemals auffliegen wird, denn darum geht es hier nicht. Weil seine Freundin May ihn verlassen hat („du siehst nicht einmal mehr aus wie Bruce Willis“), geht der Polizist so viel joggen, daß ihm keine Flüssigkeit zum Weinen mehr bleibt. In einer Bar mit schreinartig leuchtender Musikbox trifft er die Blonde hinter ihrer Sonnenbrille. Als sie bei ihm zu Hause später eingeschlafen ist, zieht er ihr die weißen Pumps aus und putzt sie („eine Frau wie sie sollte stets saubere Schuhe tragen“).
Jenseits der im Hongkong-Kino sonst üblichen neoklassizistischen Kampfsportspektakel und jenseits der Explosion von Blödsinnsfilmen – die manche Leute auf den Schock nach dem Tiananmen- Massaker zurückführen – läßt der 1958 in Schanghai geborene Wong Kar-Wai Melancholie spielen. Wie man sieht, mag er Melville, Scorsese, Cassavetes, Godard, aber er drängt einem nichts davon auf. Seine Protagonisten sind Geldeintreiber, Barkeeper, Agenten, Schmuggler, Polizisten – alle garantiert unschuldig und einsam. Kein Anflug allerdings von Melvillescher Überhöhung des Gewerbes, es hat nichts mit Existentialismus zu tun, sondern einfach damit, daß es Leute sind, die viel rumkommen und dabei wenig sozial verbandelt sein dürfen.
Wongs Vater hatte ein Hotel. Seine Mutter nahm ihn eines Tages mit auf einen Ausflug nach Hongkong. Eigentlich hatte sie vorgehabt, gleich nach Schanghai zurückzukehren, um seine Geschwister nachzuholen. Aber da brach die Kulturrevolution aus, und die Grenzen schlossen sich.
Weite Strecken von „Chungking Express“ sind mit der Handkamera gefilmt. Bloß keine Bildgrenzen! Auch die Hardware ist im Fluß. Wong bevorzugt reflektierende Flächen: Chrom, Glas, Blech; aber nicht der Kälte wegen. Bei ihm sieht das McDonald's-Zeichen wirklich wie eine Sonne aus. Was sollte auch kalt sein, wenn das Mädchen aus der Imbißbude sich in den zweiten Polizisten verliebt hat und ihm heimlich die Wohnung aufräumt, seinen Pflanzen Wasser gibt und ihm orangene Fische schenkt. Den Brief von der Stewardess, in die sich der zweite Polizist verliebt hat, kann sie ihm natürlich nicht zukommen lassen. So kreisen sie umeinander, kümmern sich unbemerkt ein bißchen und kommen mitunter sogar zusammen, gern beim Essen einer Frühlingsrolle. „California Dreamin'“ ist die Begleitmusik.
Mariam Niroumand
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