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Paris besticht aufmüpfige Insulaner

Die französische Regierung macht Korsika zum Steuerparadies. Politische Freiheiten bleiben jedoch tabu. Auch aus Brüssel fließt wieder Geld auf das Eiland. Die Korsen sind verwirrt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Geldsegen für Korsika: Statt mehr politischer Unabhängigkeit soll Frankreichs unruhige Mittelmeerinsel demnächst zusätzliche wirtschaftliche und finanzielle Freiheiten bekommen. Das teilte Premierminister Alain Juppé seinem Kabinett mit. Unter anderem sollen ab Beginn der diesjährigen Feriensaison die Steuern gesenkt und das Moratorium für ungezahlte Steuerschulden verlängert werden. Beinahe gleichzeitig mit dem Pariser Beschluß erreichte eine gute Nachrichte aus Brüssel die Korsen: Wegen massiven Betrugs ausgesetzte Subventionen sollen künftig wieder fließen.

Die beiden korsischen Departements sollen nach dem Regierungsvorhaben in eine „Freihandelszone“ verwandelt werden, wie es sie rund um das Mittelmeer bereits mehrfach gibt. Der fiskalische Sonderstatus ist das Ergebnis zweimonatiger Beratungen zwischen den zuständigen Ministerien in Paris, die neue Wirtschaftsmaßnahmen für Korsika entwickeln sollten. Einzelheiten des neuen Statuts sollen in den nächsten Wochen mit Bürgermeistern und anderen Inselpolitikern geklärt werden. In der Diskussion ist unter anderem die Reduzierung oder Abschaffung der Mehrwertsteuer und zusätzliche günstige staatliche Kredite für korsische Unternehmen.

Steuerliche Ausnahmeregelungen für Korsika hat vor allem die nationalistische Organisation FLNC-Canal historique – die stärkste bewaffnete Organisation des korsischen Untergrunds – gefordert. Die FLNC-Canal historique ist nicht nur die militärisch stärkste illegale Gruppe auf Korsika, sondern sie verfügt dank ihrer engen Verflechtung mit der Geschäftswelt und der Eintreibung der „Revolutionssteuern“ auch über beträchtlichen finanziellen Einfluß. Nach Gerüchten, die die französische Regierung weder bestätigt noch dementiert, verhandelt das Innenministerium bereits seit langem mit Vertretern dieser Organisation bzw. ihres legalen Armes Cuncolta. Die von Paris geschnittenen übrigen nationalistischen korsischen Organisationen kritisieren diese Verhandlungen mit einer Gruppe, die politisch keinesfalls die Mehrheit der Korsen repräsentiere.

Eine generelle Senkung der Mehrwertsteuer halten jedoch fast alle Korsen für interessant. Auch die von der Regierung im Rahmen der wirtschaftlichen Fördermaßnahmen angestrebte Verbesserung des Transportwesens zwischen Insel und Festland ist allgemein akzeptiert. Die Streiks der Schiffslinien, die einerseits Touristen, andererseits Clementinen und andere verderbliche Produkte transportieren, treffen alle Korsen gleichermaßen. Die Regierung erwägt offenbar eine Einschränkung des Streiksrechts für den Korsikaverkehr.

In der linken korsischen Szene stießt das Regierungspaket gestern auf Skepsis. „Das Prinzip der Freihandelszone für Korsika ist eine alte Forderung der Rechten und der Rechtsextremen“, erinnert Bernard Pantalacci, ein „langjähriger Nationalist“. Ein Mitstreiter von ihm, der einstige bewaffnete Kämpfer Leon Alessandri, erklärt, daß vor allem „strukturelle Maßnahmen zur Unterstützung der einheimischen Unternehmen“ notwendig seien.

Die korsische Wirtschaft ist extrem stark vom „Import“ abhängig. Über 90 Prozent der auf der Insel konsumierten Güter müssen von außerhalb gebracht werden. Auf der Insel selbst ist die Produktion gering. Von den 250.000 Korsen, die auf der Insel leben, sind nur 80.000 erwerbstätig, wiederum knapp 15.000 von ihnen arbeiten im öffentlichen Dienst. Seit Jahren wollen „linke Nationalisten“ diese Struktur einer abhängigen Wirtschaft ändern, um den eigenen Markt zurückzuerobern. „Wenn wir die korsische Produktion ankurbeln“, erklärt Pantalacci, „schaffen wir zugleich mehr wirtschaftliche und mehr intelektuelle Autonomie.“

Das Regierungsprojekt hingegen, so befürchten viele, könnte die entgegengesetzte Wirkung haben. In den Steuerparadiesen rund um das Mittelmeer, darunter unter anderem Andorra, florieren vor allem die Handelsaktivitäten, nicht aber die Produktion. Kritiker warnten gestern vor einer massiven Geldwäscherei, die sich auf Korsika installieren könnte.

Auch wenn die Einzelheiten des Regierungsprojektes erst im Juni bekanntgegeben werden sollen, steht schon jetzt fest, daß Korsikas Sonderstatus in Frankreich künftig noch verstärkt wird. Für die Nationalisten und Autonomisten in anderen französischen Regionen, die sich in den vergangenen Jahren von plakativen Aktionen gegen Paris zurückgezogen haben, dürfte das eine eigenartige Wirkung haben. Möglicherweise kommt der eine oder andere angesichts des Geldsegens für Korsika nun zu dem Schluß: Bomben lohnen sich.

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