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O-Töne aus Barcelona und Cádiz

Ein Schweizer Journalist auf Erkundungsreise in Spanien. Herausgekommen sind dabei spannende, aktuelle Reportagen über afrikanische „Boat people“ und mitteleuropäische Pilger  ■ Von Klaus Jetz

Der Schweizer Journalist und Schriftsteller Beat Sterchi kennt Spanien. Und er hat keine Mühe gescheut, um eine interessante Reportage über den Jakobsweg oder über maghrebinische Immigranten zu schreiben. Mehr als 600 Kilometer wanderte er bis ans „Ende der Welt“, nach Finisterre, nach Santiago de Compostela ans Grab des heiligen Jakob, auf den Spuren der mitteleuropäischen Pilger des Mittelalters. An den Strängen Andalusiens, zwischen Tarifa und Cádiz, suchte er nach den Ankunftsplätzen der „espaldas mojadas“, der nassen Rücken, wie die Leib und Leben riskierenden afrikanischen „Boat people“ an der Costa de la Luz genannt werden.

In Ceuta, der eingezäunten spanischen Enklave auf marokkanischem Boden, wo von 85.000 Einwohnern ein Viertel mohammedanisch und von diesem Viertel 75 Prozent arbeitslos sind, trifft er den Franziskaner-Pater Pepe, den Leiter des örtlichen Aufnahmelagers für Afrikaner, und dessen Zivildienstleistenden. Er trifft aber auch unverbesserliche Franquisten, die diese letzte europäische Bastion in Afrika mit allen Mitteln verteidigen wollen.

Sterchi läßt die Hauptakteure seiner Streiflichter gerne selbst zu Wort kommen. Wie fühlt sich ein heimgekehrter Spanier, der viele Jahre als „Gastarbeiter“ im nördlichen Europa verbracht hat, will er wissen. Wie ein Spanientourist aus Honduras, der sich endlich den langgehegten Wunsch erfüllt und 500 Jahre nach der Atlantiküberquerung von Kolumbus die entgegengesetzte Reise antritt? Sterchis Interessen gelten dem Alltag im modernen Spanien. Er langweilt nicht mit Lobeshymnen auf Flamenco. Die bekannten Klischees, das folkloristische Spanien, überläßt er anderen.

Dennoch erliegt auch Sterchi den für mitteleuropäische Augen und Ohren grotesk anmutenden Szenen der Brot-und-Spiele-Dramatik spanischer Volksfeste. Oder den herzzerreißenden Klageliedern, die nur scheinbar trauernde Witwen den durch nächtliche Straßen getragenen Marien- und Christus-Statuen von den Balkonen Málagas entgegenschleudern. Was wäre Spanien ohne seine gerühmten Fiestas?

Andalusien und das so ganz andere Katalonien sind die beiden Regionen, die Sterchis Reportageband ausführlich behandeln. Das Baskenland, die ETA und der baskische Nationalismus aber finden kaum Erwähnung. Ganz anders dagegen der katalanische Partikularismus, das Bewußtsein oder, je nach Standpunkt, die Einbildung der Barcelonier, „die südlichste Festung des zivilisierten Europas“ zu sein. In einem humorvollen, aber auch kritischen Porträt der katalanischen Metropole karikiert Sterchi den übertriebenen Stolz der Anhänger einer bedingungslosen Katalanisierung: „Seit Francos Tod wird unermüdlich rekatalanisiert. Sie haben die halbe Weltliteratur in ihre Sprache übersetzt, und sie haben die ganze Verkehrsbeschilderung ausgewechselt.“ Und für den Katalanen, so Sterchi, sei Madrid der verhätschelte Halbbruder des tüchtigen Barcelona und Spanien nur eine zickige Stiefmutter.

Sterchis Spanien-Band kommt ohne Bilder aus. Die Stärke der 19 Reportagen liegt im Witz und in der bilderreichen Sprache. Mit Sicherheit wird auch der Kenner Kastiliens, Kataloniens oder Andalusiens immer noch neue Entdeckungen auf Sterchis Spanienreise machen.

Beat Sterchi, „Going to Santiago. Spanien: Fahrten, Fährten, Feste“. WoZ im Rotpunktverlag, Zürich 1995, 198 Seiten, 28 DM

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