Sieben Gutachten im Giftschrank

■ Anwohner und Opposition wollen Licht ins Dunkel um Hemelinger Siedlung bringen

Ihre Beete sollten sie lieber nicht so tief umgraben. Dieser Rat aus dem Gesundheitsamt flatterte kürzlich den Bewohnern der Siedlung Hansetor in Hemelingen ins Haus. Aber welche Gefahren unter den Reihenhäusern und Gärten lauern, weiß bis heute niemand. Und daß, obwohl seit 1989 schon sieben Gutachterfirmen Schmutz im Boden und Grundwasser unter den 13.000 Quadratmetern zwischen Christern- und Kleiner Weserholzstraße aufspüren sollten. Doch die Ergebnisse sind unter Verschluß.

Anwohner haben nun einen Anwalt eingeschaltet, um Einsicht in die Bauakte zu erlangen. Die 73 Familien, die sich hier preisgünstig den Traum vom Eigenheim erfüllten, befürchten, ein zweites Mal für die Sanierung des Bodens zur Kasse gebeten zu werden, nachdem sie schon mit dem Kaufpreis 30.000 Mark für ein sauberes Grundstück gezahlt haben. Die Haftung des Bauträgers, der Firma Interhomes, die dem türkischen Honorarkonsul Karl Grabbe gehört, läuft am 30. Juni aus.

Grüne und AfB wollen den Senat mit einer gemeinsamen kleinen Anfrage zwingen, das Dunkel um den Untergrund zu lüften. Aus der Baubehörde war gestern keine Stellungnahme zu bekommen.

Auf dem Gelände haben unter anderem eine Lackfabrik, eine chemische Fabrik und ein Asbestzementwerk ihre giftigen Spuren hinterlassen. Das hätte man auch schon im Sommer 1989 wissen können, als die Baubehörde die Industrie-Brache zur Wohnbebauung freigegeben hat. „Ich glaube, daß man damals den Boden nicht anständig untersucht hat“, so der AfB-Abgeordnete Andreas Lojewski. Seine grüne Kollegin Lisa Wargalla fragt sich, auf welcher fachlichen Grundlage das Grundstück seinerzeit freigegeben wurde. Nach den jüngsten Funden der Umweltbehörde müsse geprüft werden, ob Interhomes tatsächlich die abgerechneten 2,2 Millionen Mark für die Sanierung des Bodens ausgegeben hat.

In Hemelingen wird erzählt, daß seinerzeit Industrieunternehmen wie Mercedes Benz den Kauf des Geländes wegen der unkalkulierbaren Folgen abgelehnt hätten. Eigentlich, so erinnert sich ein langjähriger Beobachter, hätte damals in die Kaufverträge aufgenommen werden müssen, daß Boden und Grundwasser belastet seien. Bei Interhomes heiß es jedoch, man habe eine „auflagenfreie Baugenehmigung“ erhalten.

Interhomes werden gute Kontakte zur Politik nachgesagt. So hat der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Waltemathe ebenso bei Grabbe angeheuert wie sein Parteigenosse, der ehemalige Innensenator Peter Sakuth.

Für Lojewski erhärtet sich der Verdacht, daß die Ämter ihre Pflichten verletzt hätten. So sei 1992 bei Interhomes eine Untersuchung des Grundwassers zwar angemahnt, aber nie durchgesetzt worden. Zudem habe niemand kontrolliert, ob die von Interhomes in Auftrag gegebene Sanierung auch erfolgreich war.

Offensichtlich wurden bisher immer nur Teile des Geländes untersucht. Das sei normal, so argumentiert Interhomes. Woher die neu aufgetauchten Verunreinigungen stammen, kann sich die Firma nicht erklären. Nun soll im Behördenauftrag das Büro des Gutachters Professor Mull aus Hannover Klarheit schaffen. Erstmals wird ein Raster über das gesamte Grundstück gelegt. jof