: Kreuz-Zwang und Katechismus-Pflicht Von Mathias Bröckers
Als die spanischen Eroberer den amerikanischen Kontinent missionierten, befleißigten sie sich einer todsicheren Methode: Sie lasen den Eingeborenen das katholische Glaubensbekenntnis vor. Wenn diese verstanden und sich bekreuzigten, konnten sie mit Gnade rechnen, verstanden sie nicht, was die Regel war, denn der Sermon wurde auf lateinisch vorgetragen, wurden sie getötet. Im Namen des Herrn, versteht sich, der nach Ansicht der frommen Killer nur Tiere und Untermenschen von der Fähigkeit ausgenommen hatte, Gottes Wort zu verstehen.
Heute scheint derlei Missionsbarbarei zwar ausgestorben, die dahinter steckende Geisteshaltung aber hat alle Reformationen und Säkularisierungen überlebt: „Ungläubige“ mit Pflichten, Zwängen und notfalls mit Gewalt dem „wahren Gott“ zuzuführen, ist nach wie vor alltäglich. Und ein Blick auf die Landkarte der aktuellen Terror- Regionen zeigt, daß das Mittelalter der Religionskriege keineswegs beendet ist: Ob auf dem Balkan oder in Tibet, in Nordirland oder in Palästina, gläubige Killerhorden vom Kaliber der Conquistadores sind aktiver denn je.
Auch in Deutschland tobt neuerdings wieder ein Religionskrieg: zwar nicht mit Feuer und Schwert, aber doch mit härtestem juristischem Geschütz. So scharf wie nach dem „Kruzifix-Urteil“ wurde das Bundesverfassungsgericht seit seinem Bestehen nicht attackiert, so massiv wie von wildgewordenen Christen noch nie zum Bruch der Verfassung aufgerufen. Dabei hatte das Gericht nur den verordneten Kruzifix-Zwang in öffentlichen Schulräumen untersagt, um dem staatlichen Toleranzgebot vor der wachsenden Schar Andersgläubiger Rechnung zu tragen. Die gewaltige Aufregung über eine solche Selbstverständlichkeit verdankt sich allein jenem ungebrochenen Missionseifer, der zur Durchsetzung von Gottes Herrlichkeit auf Erden auch vor Zwangsmitteln nicht halt macht. Und willst du nicht mein Glaubensbruder sein, dann schlag ich dir zwar nicht mehr den Schädel ein, aber zwinge dir von kleinauf den Gekreuzigten vor die Nase – so könnte man die neudeutsche Variante der aktuellen Religionskämpfe beschreiben.
Sie wird jetzt, wo der brandenburgische Landtag die Ersetzung des konfessionellen Religionsunterrichts durch das Pflichtfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religion“ beschloß, noch um eine Nuance reicher. Schon hat die CDU Verfassungsklage angedroht, und mit den Kreuzrittern des Südens macht sich der rheinisch-katholische Bund auf, die Entchristianisierung der neuen Bundesländer aufzuhalten. Rechtsstaat hin, Föderalismus her, wenn's um Kreuz und Katechismus geht, wird mit blindem Eifer draufgeschlagen – dabei ist selbstverständlich, daß das Verfassungsgericht auch dieses Mal den „Heiden“ recht geben wird. Religionsunterricht zwangsweise zu erteilen, wenn bis zu 80 Prozent der Unterrichteten einer anderen oder gar keiner Konfession angehören – dieses Unterfangen ist kaum weniger absurd als die Latein deklamierenden Missionare des Mittelalters. Daß derlei Wahn noch heute ernsthaft vertreten wird, zeigt, wie untauglich der Religionsunterricht schon lange ist. Kreuz-Zwang und Katechismus-Pflicht dienen nicht der Abrüstung, sondern allein Fortsetzung von Religionskriegen.
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