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Weißrußland sucht Anschluß

■ Der Unionsvertrag mit Rußland ist perfekt. Widerstand im Parlament ist nicht zu erwarten. Die Opposition ist geknebelt

Berlin (taz) – Der weißrussische Präsident, Alexander Lukaschenko, ist dem Ziel einer Vereinigung mit Rußland einen Schritt nähergekommen: Heute soll der Unionsvertrag mit Rußland unterzeichnet werden. Der Vertrag sieht gemeinsame politische Organe beider Länder, einen eigenen Haushalt für gemeinsame Projekte und eine einheitliche Währung vor. Auch eine gemeinsame Verfassung ist geplant.

Nennenswerter Widerstand im weißrussischen Parlament, das den Vertrag voraussichtlich Ende des Monats ratifizieren wird, ist kaum zu erwarten. Kommunisten und Agrarier werden für das Vertragswerk stimmen, auch Abgeordnete der Sozialdemokraten sowie Parteilose sind für den engen Schulterschluß mit dem großen Bruder.

Kritiker der Union haben kaum Möglichkeiten, ihren Standpunkt öffentlich zu vertreten. Sie dürfen in den Medien nicht auftreten oder werden, wie bei der Demonstration am vorletzten Wochenende in Minsk, von der Polizei einfach abgeräumt. Dagegen durften am vergangenen Sonntag 40.000 Anhänger der Kommunistischen Partei Weißrußlands in den Straßen von Minsk ihre Unterstützung für den Kurs Lukaschenkos demonstrieren.

Schon beim Amtsantritt des ehemaligen Kolchosvorsitzenden, der 1994 mit 82 Prozent der Stimmen zum Staatspräsidenten Weißrußlands gewählt wurde, war klar, wohin die Reise gehen würde: Zeitungen der Opposition wurden geschlossen, Russisch als zweite Amtssprache wieder eingeführt, der Geheimdienst gestärkt. Im Mai letzten Jahres ließ sich Lukaschenko in einem Referendum freie Hand für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland geben.

Am vergangenen Freitag war der weißrussische Präsident Gast im Kreml. Gemeinsam mit den Staatschefs von Kasachstan und Kirgisien unterzeichnete er mit Rußland den Vertrag über die Gemeinschaft Integrierter Staaten (GIS). Das Abkommen sieht für die beteiligten Staaten eine engere Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur vor. Auch gemeinsame Organe wie ein zwischenstaatlicher Rat, ein Integrationskomitee und ein Parlamentskomitee sind geplant.

Der Vertrag stelle das alte System nicht wieder her, sondern strebe nach einer Integration auf der Basis unabhängiger Staaten, sagte der russische Präsident Boris Jelzin. Doch von Unabhängigkeit will der weißrussische Präsident absolut nichts wissen. Er setzt ganz auf die russische Karte. Bei der ersten Vorstellung des Projektes im Parlament sprach Lukaschenko gleich von einem gemeinsamen Staat. Doch da nahm ihm der russische Präsident ein wenig den Wind aus den Segeln. An einen gemeinsamen Staat sei vorerst nicht gedacht, sagte Jelzin. Barbara Oertel

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