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G 7 ergeht sich in Allgemeinplätzen

Der „Beschäftigungsgipfel“ der sieben führenden Industriestaaten zeigte völlige Uneinigkeit über die Arbeitsmarktpolitik. Von Jacques Chiracs „drittem Weg“ war keine Rede mehr  ■ Aus Lille Dorothea Hahn

Wachstum, Wachstum, Wachstum – dann kommen die Arbeitsplätze wie von selbst. So lautete gestern das Credo und die wichtigste Gemeinsamkeit der 19 Minister der sieben großen Industriestaaten, nachdem sie anderthalb Tage lang in der nordfranzösischen Stadt Lille über Wege aus der Arbeitslosigkeit beraten hatten, die derzeit 23 Millionen Menschen in ihren Ländern betrifft. Konkrete gemeinsame Schritte beschlossen die Minister allerdings nicht. Sie sprachen sich auch nicht einhellig für eine Fortsetzung der G 7-Treffen zu sozialen Themen aus. Der Erfolg des Gipfels bestand darin, daß er stattgefunden hat, ließen sie durchblicken.

„Wir müssen sowohl wirtschaftliches Wachstum als auch einen breiten Wohlstand erreichen“, heißt es in den minimalistischen Schlußfolgerungen. Makroökonomische Maßnahmen, „gut funktionierende Märkte“, die Förderung von „Arbeitsplätzen der Zukunft“ und die staatliche Vorsorge, daß das „Wachstum allen zugute kommt“ seien nötig, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, heißt es im siebenseitigen Papier.

Wie bei G 7-Treffen üblich, bestätigten die Teilnehmer ihren Wunsch nach Reduzierung der öffentlichen Ausgaben und dem Abbau der Defizite. Dadurch werde das Klima für private Investitionen und Einkommenszuwächse geschaffen. Der am häufigsten gebrauchte Begriff während der anderhalb Tage war nicht etwa „Arbeitslosigkeit“, sondern „Globalisierung“. Die Öffnung der Weltmärkte sei bereits derart weit fortgeschritten, daß sie ohnehin nicht mehr aufzuhalten sei, bestätigten sich die Minister gegenseitig. Jetzt gelte es, die Nachteile für die Bevölkerungen ihrer Länder zu verwalten und für Verständnis zu werben.

Die Voraussetzungen in den G 7-Ländern – Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland, Japan, Kanada und die USA – sind völlig unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen, daß sie einen historischen Höchststand an Arbeitslosigkeit haben. Die Skala reicht von Frankreich, das mit offiziell 11,8 Prozent Arbeitslosigkeit am oberen Rand steht, bis zu Japan, das mit 3,4 Prozent immer noch knapp zwei Millionen Arbeitslose zählt. Die Politik in dem Bereich unterscheidet sich in den sieben Ländern radikal: Sie reicht von dem weitgehenden Laissez-faire-System in den USA, bis hin zu traditionellen Sozialsystemen à la Frankreich oder Deutschland. Auch die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Arbeitsmarktpolitik ist unterschiedlich entwickelt. Gastgeber Frankreich wiederholte seinen Wunsch nach koordinierten Schritten, während Deutschland und die angelsächsischen Länder dies ausschließen.

Der „dritte Weg“ zwischen den USA und Kontinentaleuropa – zwischen Verarmung und Massenarbeitslosigkeit – den Präsident Jacques Chirac am Montag morgen, bei der Eröffnung des Treffens vorgeschlagen hatte, ging im Lauf der Verhandlungen völlig unter. In der Schlußerklärung ist davon keine Rede mehr. Auch die von Frankreich favorisierte Einführung „sozialer Kriterien“ findet dort keine Berücksichtigung. Zusammen mit anderen Ländern wünscht Frankreich, daß die Gruppe der sieben Industriestaaten Gefangenenarbeit, Kinderarbeit und andere Zwangsverhältnisse bannt, und daß sie universelle Mindestnormen aufgreift, wie das Recht auf gewerkschaftliche Organisation. Davon blieb in den Schlußfolgerungen nur ein allgemeiner Satz über „die Bedeutung eines Ausbaus der Kernarbeitsnormen auf der ganzen Welt“. Die angelsächsischen Länder und Deutschland haben weitergehende Verpflichtungen verhindert.

Das Lob des Liberalismus fand nicht überall in der von Massenarbeitslosigkeit gezeichneten Region Anklang. Während die Arbeits- und Wirtschaftsminister im Grand Palais tagten, demonstrierten draußen Gewerkschafter aus Frankreich und Belgien: „Arbeitslose, laßt den Kopf nicht hängen“, skandierten sie, „hebt die Faust!“

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