: Alle Macht geht vom Feierabend aus
■ Feierabendparlament: CDU-Chef Ole von Beust und GALier Martin Schmidt im Streitgespräch
taz: Das Feierabendparlament ist eine Einrichtung für Abgeordnete, die nicht vermißt werden, wenn sie nach fünf Stunden ihren Arbeitsplatz verlassen. Würden Sie da zustimmen, meine Herren?
Ole von Beust: Nein, auf keinen Fall. Als ich noch einfacher Abgeordneter und nicht Fraktionsvorsitzender war, hatte ich einen durchaus angespannten Anwaltsberuf und habe erheblich mehr als fünf Stunden am Tag gearbeitet. Wenn die Parlamentsarbeit um 17 Uhr beginnt, hat man von acht bis 16 Uhr genug Zeit für den Beruf.
Martin Schmidt: Das gilt vielleicht für die Abgeordneten, die meinen, daß sie sich nicht vorbereiten müssen. Für diejenigen aber, die ihr Mandat ernst nehmen und die Texte lesen, über die sie abstimmen, ist das unsinnig. Das Volk, das uns wählt, hat einen Anspruch darauf, daß wir wissen, was wir beschließen. Und wenn man das auch will, dann ist Schluß mit Feierabendparlament.
Von Beust: Ich möchte den Abgeordneten sehen, der für jede Sitzung die Unterlagen zu 130 Tagesordnungspunkten durchgearbeitet hat.
Martin Schmidt: Da ein Parlament davon lebt, daß die kleineren Oppositionsfraktionen Zoff machen und Sachen entdecken, die die großen nicht sehen, ist es lebensnotwendig, daß sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Ich muß versuchen, meine Berufstätigkeit in der halben Zeit zu erledigen und den Rest aufs Wochenende zu schieben. Die parlamentarische Arbeit geht hauptsächlich zu Lasten des Privatlebens und, ganz wichtig, zu Lasten der nicht-parlamentarischen Politik.
taz: Also ist dann der Bezug zum Volk gar nicht mehr möglich?
Von Beust: Ich behaupte, daß der Bezug zum Volk in Hamburg genauso hoch oder niedrig ist wie in den Parlamenten, die Berufsabgeordnete haben.
taz: Die Fans des Feierabendparlaments sagen, daß durch die Berufstätigkeit der Kontakt mit dem „normalen“ Leben erhalten bleibt. Herr Schmidt sagt nun, das genaue Gegenteil ist der Fall.
Von Beust: Wenn man nicht autistisch veranlagt ist, besteht der Beruf zu einem erheblichen Teil aus Kommunikation. Das heißt, die Wirkung der Politik bekommt man direkt mit, viel besser, als wenn Sie mit Interessengruppen über Politik reden. Durch den Beruf behalten Sie also die Bodenhaftung und vor allem die finanzielle Unabhängigkeit.
Martin Schmidt: Wir sollen doch als Abgeordnete nicht unseren Striemel immer weiter machen, sondern unseren Horizont erweitern. Wir sollen neue Leute kennenlernen und überall hinfahren, wo man uns einlädt. Das kann man nur, wenn man von der materiellen Notwendigkeit der Berufsausübung freigestellt wird. Ich möchte aber auf meinen Beruf nie verzichten, ich würde ihn nur pausieren lassen.
Von Beust: Sie verwechseln Volk mit organisierten Interessensgruppen. Mit den „normalen“ Menschen kommt man doch aus der reinen Abgeordnetenfunktion heraus kaum ins Gespräch.
Schmidt: Ich schon!
Von Beust: Im Privaten vielleicht.
Schmidt: Nein, die rufen mich an, schreiben mir Briefe. Und ich habe noch nicht einmal Zeit, die Briefe zu beantworten.
Von Beust: Ich habe nie Schwierigkeiten gehabt, die Briefe zu beantworten.
taz: Ist es nicht so, daß ein Vollzeitparlament auch deshalb nicht gewollt wird, weil das, was viele Abgeordnete in ihrem Beruf verdienen, sowieso viel lukrativer ist?
Von Beust: Das glaube ich nicht. Das Gros der Abgeordneten liegt im Verdienst bei dem, was die Enquete-Kommission ursprünglich vorgeschlagen hat: so bei 6800 Mark. Aber wenn man acht oder zwölf Jahre ausgestiegen ist, verlieren Sie den beruflichen Anschluß. Das gilt insbesondere für Freiberufler – denen laufen die Kunden beziehungsweise Patienten oder Mandanten davon.
Schmidt: Ich will denen das gar nicht nehmen. Aber Sie wollen verhindern, daß ich mich entscheiden kann, meinen Beruf vier Jahre pausieren zu lassen. Diese Freiheit muß geschaffen werden. Mehr Abgeordnete, die sich ausschließlich ihrem Mandat widmen, würden der eigentlichen Aufgabe des Parlaments, nämlich die Regierung zu kontrollieren, nur gut tun. Und das wissen Sie doch auch, Herr von Beust, daß wir im Kontrollieren nur Stümper sind.
Von Beust: Ich warne vor der Illusion zu glauben, mit mehr Zeitaufwand wird die Kontrolle effektiver. Der Apparat der Exekutive wird trotzdem überlegen sein.
taz: Sie, Herr von Beust, schwärmen von der Unabhängigkeit. Wie ist es denn mit Interessenkonflikten? Ich denke da zum Beispiel an ihren Parteikollegen, den Rechtsanwalt Ralf-Dieter Fischer, der sein politisches Mandat für seine anwaltliche Tätigkeit nutzen wollte.
Von Beust: Dieses Problem ist grundsätzlich ein heikler Punkt. Das grenzt an die Frage der Vereinbarkeit von Mandat und Funktionen, besonders im öffentlichen Dienst. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob ein Anwalt im Richterwahlausschuß sitzen muß. Der Ehrenkodex gehört verschärft.
Schmidt: Mit der Verweigerung von Politik als Beruf wird ein klarer Schnitt aber verhindert.
taz: Beruf und Parlament, da sind wir uns ja einig, sind eine Doppelbelastung. Jetzt bekommt bei einigen noch eine dritte hinzu: Kinder. Ist das Feierabendparlament ein Trick, um es Frauen möglichst schwerzumachen, ein Mandat anzunehmen.
Von Beust: Das mag sich in der Realität so darstellen. Aber daß es ein gewollter Trick ist, höre ich zum ersten Mal. Und ich kann da nur wieder sagen, in den Vollzeitparlamenten ist es auch nicht besser. Die Abendverpflichtungen in der Politik bleiben.
Schmidt: Das kann man aber auch anders lösen: Es gibt eine Kernzeit der Kinderbetreuung. Und die ist am späten Nachmittag bis zum frühen Abend. Diese Zeit ist identisch mit der Kernzeit der Bürgerschafts-Arbeit. Tagsüber zu tagen wäre eine familienfreundliche Lösung.
taz: Werfen Sie beide doch mal einen Blick auf unsere geschätzte, dauerregierende Hamburger SPD und beantworten Sie die Frage, ob das parlamentarische Ehrenamt die SPD-Abgeordneten bürgernäher und unabhängiger gemacht hat.
Von Beust: Im einzelnen mag es die SPD-Abgeordneten unabhängiger machen. In der Masse nicht.
Schmidt: Ich glaube auch nicht, daß die SPD-Abgeordneten durch das Ehrenamt unabhängiger sind. Aber Herr von Beust zieht daraus die falsche Konsequenz. Die Kontrollfunktion des Parlaments ist auf die Opposition verlagert. Von daher ist die Politik der CDU erst recht unverständlich. Denn dann sollte wenigstens den Oppositionsfraktionen ermöglicht werden, volle Power arbeiten zu können.
taz: Dem Kompromiß zur Parlamentsreform haben aber alle Fraktionen zugestimmt, obwohl er kaum mehr Geld für die Abgeordneten bringt. Haben zu viele Köche den Brei verdorben?
Schmidt: Wir haben diesem Kompromiß zugestimmt, weil er den Verfassungsartikel der Ehrenamtlichkeit abschafft, so daß es eine Tendenz zur Verbesserung gibt. Bei einem Kompromiß bleibt aber immer die Frage, ist das Glas halb voll oder halb leer.
Von Beust: Wir waren von Anfang an dafür, das Ehrenamt zu behalten. Wir waren aber bereit, diesen Passus in der Hamburger Verfassung fallenzulassen, wenn eine Garantie für die Möglichkeit der Berufsausübung bleibt. Ich finde also, daß der Brei so richtig ist: sehr lecker. Fragen: Silke Mertins
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