: DGB wird krank vor Kompromissen
■ Deutscher Gewerkschaftsbund ist zu Abstrichen bei Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bei Renten bereit
Hamburg (AP/dpa) – Der DGB ist grundsätzlich zu einer Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bereit. Nach Angaben des bayerischen Landesvorsitzenden Fritz Schösser würde der Deutsche Gewerkschaftsbund auf die Anrechnung von Überstunden verzichten. Der DGB will nach Schössers Worten ferner bei der Sanierung der Rentenkasse einer Kürzung der Anrechnungszeiten für Auszubildende und Studenten zustimmen. Der Bild am Sonntag sagte er, es sei nicht einzusehen, „daß faulenzende Langzeitstudenten auch noch unterstützt werden“. Darüber hinaus erklärte er sich mit einer Anhebung der Mehrwertsteuer um zwei oder drei Prozentpunkte einverstanden, wenn der Bundeszuschuß an die Sozialversicherungen erhöht und der Beitragssatz für die Arbeitslosen- und Rentenversicherung gesenkt werden könnte.
DGB-Chef Dieter Schulte forderte, daß Steuererhöhungen die Gerechtigkeitslücke im Steuersystem nicht vergrößern dürften. Bei einer Rentensanierung sei „völlig klar, daß auch schmerzliche Dinge auf den Tisch kommen werden“, sagte Schulte. Die Gewerkschaften seien auch willens, mit den Arbeitgebern über Fehlzeiten in den Betrieben zu sprechen.
Der Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, kritisierte die Äußerungen: „Ich weiß nicht, für wen Schulte und Schösser diese Erklärungen abgegeben haben, im Auftrag des DGB haben sie jedenfalls nicht gesprochen“, sagte Hensche. Es könne nicht Aufgabe des DGB sein, sich am Sozialabbau zu beteiligen, schon gar nicht durch Abstrafung von Kranken und Rentnern.
Auch DAG-Sprecher Ingo Schwope wandte sich gestern gegen jede Einschränkung der Lohnfortzahlung: „Der mögliche Mißbrauch durch einige schwarze Schafe rechtfertigt weder Karenztage noch prozentuale Gehaltskürzungen für alle erkrankten Arbeitnehmer.“ Auch sei nicht akzeptabel, Überstundenentgelte unberücksichtigt zu lassen.
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Hansjürgen Doss, plädierte für eine Versicherungslösung mit niedrigen Beiträgen und Beitragsrückerstattungen, wenn der Arbeitnehmer nicht die volle Lohnfortzahlung absichere oder sie nicht in Anspruch nehme. Er forderte die Sozialpolitiker der Union auf, „Karenztage nicht mehr als Killerargumente rundweg abzulehnen“. 30 Prozent aller Krankmeldungen entfielen auf einen Montag und bis zu 37 Prozent auf einen Freitag. Der Vorsitzende der CDU/CSU- Arbeitnehmergruppe im Bundestag, Walter Link, hielt dagegen, es dürfe keine kollektive Bestrafung für die wirklich kranken Arbeitnehmer geben.
Die SPD will an der Lohnfortzahlung festhalten, wie ihr Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering sagte. Er kritisierte Äußerungen von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der eine Senkung der Lohnfortzahlung gefordert hatte. „Es ist unerträglich, daß Blüm die Arbeitnehmer pauschal verdächtigt, sie mißbrauchten ihre Situation des Krankseins.“
An diesem Donnerstag wollen CDU, CSU und FDP über die Sicherung der Bundesfinanzen und der Sozialsysteme einschließlich der Rentenkasse beraten. Davon erhofft sich Bundeskanzler Helmut Kohl schnelle Klärung. Am Sonntag will Kohl in einer Spitzenrunde der Koalitionäre Vorentscheidungen herbeiführen, heißt es.
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